Susan Andersen
kein Mann, dem sie unbedingt noch einmal begegnen wollte.
Wie auch immer. Jedenfalls brachte es offenbar gar nichts, lieb und brav zu sein. Darum konnte sie genauso gut ausprobieren, wie sich eines der Comicbilder, die sie zu Hause auf ihrem Zeichenblock geübt hatte, auf einer Wand machen würde. Sie musste einfach nur vorsichtig sein und die Augen offenhalten und nicht gerade im U District bleiben. Wobei es bestimmt besser war, jemanden mitzunehmen. Konnte jedenfalls nicht schaden.
Was Danny G. wohl heute Abend machte?
Und ob sie sich trauen würde, ihn zu bitten mitzukommen?
Wie sich herausstellte, überquerte er gerade den Parkplatz von Ace, als sie ankam. Überhaupt war sie, von Detective de Sanges abgesehen, die Letzte.
„Ich dachte, wir hätten diesen Mist hinter uns“, meckerte Henry gerade. „Wir haben doch alles übermalt, was ich ... ähem, ich meine, was wir getagged haben, oder? Warum müssen wir dann heute noch mal antreten?“
Natürlich hätte Cory es keiner Menschenseele gegenüber zugegeben, aber sie würde diese Treffen vermissen.
Sozusagen.
Irgendwie.
Sie waren ihr nicht etwa wichtig oder so. Es machte ihr einfach Spaß, Zeit mit Danny G. zu verbringen. Er war nicht nur total süß, sondern irgendwie auch geheimnisvoll und unglaublich faszinierend. Ms. Calloway, also Ms. C, war echt in Ordnung und Henry nicht ansatzweise so nervig, wie sie am Anfang gedacht hatte. Gut, er konnte schon nerven, keine Frage. Aber er hatte so ein paar Kommentare fallen lassen, die darauf hinwiesen, dass sein Vater Alkoholiker war. Sie hatte ihren Daddy viel zu früh verloren und war noch immer wütend und voller Trauer. Aber sie konnte von Glück sagen, dass sie wenigstens dreizehn Jahre lang einen tollen Vater gehabt hatte.
Selbst Detective de Sanges war kein totaler Volldepp.
„Ich sagte“, rief Henry laut, „ich dachte, wir hätten ...“
Ms. C. sah ihn direkt an. Henry klappte den Mund zu, so wie sie es alle taten, wenn sie diesen Blick aufsetzte.
„Haben Sie etwa mit mir gesprochen, Mr. Close?“, fragte sie sanft. „Ich dachte nicht, nachdem Sie mich nicht mit meinem Namen angesprochen haben.“ Sie trat zuerst auf Danny zu, dann auf Henry und zuletzt auf Cory, um jedem von ihnen ein großes Skizzenbuch und eine Handvoll Faber-Castell-Farbstifte zu reichen.
Ehrfurchtsvoll starrte Cory die Stifte in ihrer Hand an. Bisher hatte sie sich immer mit denen aus dem Supermarkt begnügen müssen, die viel zu weich waren, um präzise Linien zu zeichnen.
„Eigentlich wollte ich auf Detective de Sanges warten, aber wie es scheint, wird er irgendwo anders aufgehalten“, erklärte Ms. C, und eine leichte Röte bedeckte ihre Wangen. Was aber offensichtlich nichts mit dem Detective zu tun hatte, denn mit einer schnellen Handbewegung wischte sie das Thema zur Seite und fügte hinzu: „Aber Sie wissen ja, wie man sagt – wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Sein Pech.“
Gleich darauf wurde sie ernst wie bei einem richtig feierlichen Augenblick. „Ich bin sehr stolz auf Sie. Sie waren großartig. Sie waren immer pünktlich und haben die Tags sehr gut entfernt.“ Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Und das fast ohne zu meckern.“
Nacheinander studierte sie jeden Einzelnen. Cory wusste nicht, wie es den Jungs erging, aber als Ms. C.’s warmer Blick nur ihr allein galt, fühlte sie, wie es an Stellen in ihr hell wurde, von denen sie gar nicht wusste, dass sie sonst im Schatten lagen. In diesem Moment fühlte sie sich geborgen – ruhig und merkwürdig getröstet.
Sie fühlte sich ... besonders.
Dann grinste Ms. C, und alles war wieder normal. „Somit ist Phase eins Ihrer Tortur beendet.“
„Wie bitte?“ Henry kochte vor Wut. „Was soll’n das heißen, Phase eins? Wir sind doch fertig hier, oder?“
„Nicht ganz. Der anstrengende Teil ist vorbei. Und jetzt kommen wir zum lustigen.“
„Das ist der, wo wir abhauen dürfen?“
„Nein, Mr. Close. Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, Kunst zu machen, über die die ganze Nachbarschaft sich freuen wird.“ Sie zuckte leicht mit den Schultern. „Zumindest solange nicht irgendein Tagger ankommt und darüber sprüht, versteht sich.“ Sie deutete auf die Skizzenblöcke und die Stifte, die sie ausgeteilt hatte. „Ich möchte, dass Sie sich Gedanken machen, was Sie gern auf die Seitenwand von Mr. Harveys Gebäude malen würden. Überlegen Sie gut. Arbeiten Sie ein paar Vorschläge aus. Es kann alles sein.“
„Ja, klar“,
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