Susan Price
Gottes beständig und erfolgreich wuchs und den Ländern unter ihrem Einfluss ihren Segen gab – das galt auch für die Königreiche Loverns und Unwins.
Ingvald ließ sich nichts anmerken, obwohl er nun die Bedeutung des Liedes verstand. Lovern machte nur deutlich, wem seine Sympathien galten.
Der König reichte die Harfe an seinen Gast Unwin weiter. Ingvald zwinkerte kurz mit den Augen – als Ehrengast hätte er erwarten dürfen, die Harfe als Nächster zu erhalten. Aber Unwin war ebenso ein hoch geschätzter Gast – es gab keinen wirklichen Grund, sich angegriffen zu fühlen. Die dänischen Brüder schauten sich nicht an. Sie warteten auf das, was Unwin singen würde.
Sein Lied begann in einem klagenden Ton, und die ersten Harfentöne erklangen, um in der aufmerksamen Stille zu verhallen. Ingvald und Ingvi gehörten zu den wenigen im Saal, die die Worte verstanden, und sie verstanden sie schon nach den ersten Zeilen. Es gab dänische Versionen dieser Geschichte. Sie erzählte von zwei Brüdern, die sich sehr nahe standen und sich unglücklicherweise in dieselbe Frau verliebten. Beide versuchten, sich ehrenwert zu verhalten, aber am Ende brachten sie sich gegenseitig um und brachen das Herz nicht nur ihres Vaters, sondern auch das der Frau, die sie liebten.
Am Ende des Liedes applaudierten Loverns Untertanen höflich. Ingvald und Ingvi klatschten mit und lächelten weiter. Wir, die wir dieselbe Sprache sprechen, so lautete die Aussage dieses Lieds, sollten uns wie Brüder verhalten und zusammenstehen. Sich zu streiten führt in die Katastrophe.
Unwin stand auf und reichte die Harfe lächelnd über den Tisch an Ingvald weiter, der sie nahm, und mit seinen Fingern über ihre Saiten glitt, während er nachdachte.
Ingvi beugte sich schnell zu seinem Bruder hinüber und flüsterte: »Ruf den Harfenspieler!«
Ingvald hob den Kopf. »Mit der Harfe weiß ich nicht recht umzugehen«, sagte er, und obwohl es eine Schande war, dies einzugestehen, nahm er das lieber auf sich, als sich auf diesen Wettstreit der Lieder einzulassen. »Ich verschone eure Ohren mit meiner Ungeschicklichkeit und lasse einen echten Musiker spielen. Ud! Spiel für uns auf!« Die Liedauswahl eines fremden Harfenspielers würde nicht als eine Aussage seinerseits verstanden werden, selbst wenn das Stück zu wünschen übrig ließe.
Ud mit der Harfe erhob sich von seinem Platz an der Wand, wo er zwischen den Dienern gesessen hatte, und kam nach vorne. Er ging an den Tischen in der Saalmitte vorbei, bis er die Ehrentafel und das Feuer erreichte. Er hatte seinen Mantel und die Harfentasche zurückgelassen und stand im hellen Licht der Kerzen und Fackeln vor ihnen. Seine Kleidung war aus einfachem, aber gutem Stoff gewirkt, und er trug keine Waffen bei sich, außer einem Messer an seinem Gürtel. Seine Harfe war ein gewöhnliches, unverziertes Instrument, ganz im Gegensatz zum geschnitzten und vergoldeten Gegenstück in Ingvalds Händen. Er drehte sein gut aussehendes, faltiges Gesicht zu beiden Seiten, lächelte, und alle konnten erkennen, dass der Harfenspieler nur ein Auge hatte. Das Auge, das im Schatten tiefliegend gewirkt hatte, war ein vernarbtes, ausgehöhltes Loch. Die Königin hob abwehrend und angewidert ihre Hand, um ihren Augen diesen Anblick zu ersparen.
Kälte schien sich über Ingvis Haut zu stehlen, wie der kühle Wind, der ihn bei Sonnenuntergang in den Wäldern umwehte, und er erinnerte sich an Geschichten über Elffrauen mit hohlen Rücken. »Man nennt mich Graubart, Ud mit der dunklen Kapuze …« Und Einauge auch und Wanderer … und … und … Doch während Ingvis Gedanken noch nach diesen Bildern suchten, entglitten sie ihm und ließen ihn beunruhigt zurück. Während ihm sein Geist seine Furcht zu erklären versuchte, entlockten die Finger des Musikers der Harfe einen schnellen Strom an bezaubernden Tönen.
Die klarsten, saubersten Noten der Harfe schallten wie Trompetenstöße, und jeder auf den Stühlen und Bänken saß nun aufrecht. Weichere Noten flossen herab und flüsterten in alle Ohren, Nackenhaare stellten sich auf und Arme begannen zu zucken. Jeder Blick war auf den Harfenspieler gerichtet. Es wurde still, stiller noch als beim König.
Der Harfenspieler lachte mit tiefer, dunkler Stimme und sagte: »Nun, meine Freunde, trägt uns die Musik auf ihren Schwingen in eine andere Welt.« Und er entlockte der Harfe eine weitere Kaskade an Noten, die jedes Herz berührten. Ingvi saß aufrecht auf seinem Stuhl, das
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