Susan Price
war, ihm so nahe zu kommen.
»Atheling«, sagte Ud, »macht mich zu Eurem Harfner.«
Das Wort »Harfner« gelangte an Unwins Ohr. Harfner erhielten einen Lohn. Er zog einen Ring von seinem Finger, reichte ihm den Mann und ging weiter.
Ud lächelte, streifte den Ring über und folgte Unwin in seine Unterkünfte.
NEUES VON UNWIN
Ein heller Sonnenstrahl fiel durch die Tür in den kleinen Saal und auf seinen strohbedeckten Boden aus festgetretener Erde. Jenseits seines Scheins wurde das Licht schwächer, bis es im hinteren Bereich nur noch Schatten hinterließ. Auf der Feuerstelle in der Mitte züngelten Flammen hoch, und es roch nach Rauch und dem alten Stroh im Dach.
Godwin ging zum Saalende, wo der Vorhang den Raum in zwei Bereiche unterteilte. Auf dem Fußboden lagen direkt am Vorhang ein einfacher, abgenutzter alter Schild und ein Schwert in seiner Scheide, noch am Schwertgürtel befestigt, als ob man ihn einfach ausgezogen und zu Boden geworfen hätte. Ein Wächter stand von seiner Wandbank auf und senkte seinen Speer, bis Schaft und Spitze genau vor Godwins Brust schwebten.
Godwin blickte zu dem Mann auf, dessen Zähne ihn aus seinem Bart angrinsten, und betrachtete seinen Helm und Nasenschutz. »Ich bin hier, um meinen Vatersbruder zu besuchen. Ich bin Godwin Un–« Vielleicht wäre es am besten, den Namen seines Vaters nicht zu erwähnen, auch wenn es ihm schwerfiel. Sein Vater würde ihm zur Vorsicht raten. »Godwin Atheling.«
Der Speer schwang nach oben, und der Wächter lehnte sich darauf. »Ich glaube, er schläft.« Er nickte in Richtung Schild und Schwert, die in der Nähe auf dem Boden lagen. »Hat sich wohl verausgabt.«
»Ich werde warten, bis er aufwacht«, sagte Godwin und zog den Vorhang zur Seite.
Ein Windloch hoch oben in der Giebelwand sorgte dafür, dass die Luft hinter dem Vorhang frischer war als im restlichen Haus. Sanftes Licht drang durch den Rauch und Staub nach unten. Godwin schaute sich um. Seinen Vatersbruder konnte er nirgendwo sehen – aber die Türen des Eckbetts standen offen. Godwin ging hinüber.
Das Innere des Schrankbetts lag im Schatten, doch als er sich näherte, konnte er Wulfweard erkennen. Er hatte den Kopf zur Seite gedreht, und Godwin sah, dass seine Augen geschlossen waren. Den Oberkörper hatte man auf Kissen aufgestützt. Das lange, zusammengebundene Haar fiel ihm über die Schultern.
Der Junge wartete, denn er glaubte für einen Moment, dass Wulfweard sich nur ausruhte, aber die langen, langsamen Atemzüge bewiesen ihm, wie fest Wulfweard schlief. Godwin bedeckte seinen Mund mit der Hand, um nicht in lautes Lachen auszubrechen. Er fand es immer lustig, in der Nähe eines Schlafenden zu sein – man konnte ihm immer einen Streich spielen.
Godwin setzte sich auf den kleinen Hocker, der neben dem Bett stand. Er behandelte die beiden Eier, die er aus dem Hühnerstall gestohlen hatte, mit großer Vorsicht, denn der Schatz in seiner Gürteltasche war die Ausrede für seine Anwesenheit. Nachdem er nachgeschaut hatte, dass sie nicht zerbrochen waren, betrachtete er seinen schlafenden Verwandten von oben bis unten.
Wulfweard hatte dank Kendidras Kochkünsten zugenommen. Sie setzte ihm pochierte Eier mit Kräutern vor, ließ ihn Hafergrütze mit Sahne, Butter und Honig essen und warme Milch, mit Mandelöl gewürzt, trinken – aber er war immer noch mager, und sein Gesicht wirkte eingefallen.
Sein Leinenhemd war nicht verschnürt, und Godwin konnte die Narbe auf seiner Brust sehen. Sie heilte mittlerweile gut ab, doch auf seiner hellen Haut wirkte sie immer noch wie eine Flammenspur. Er fragte sich, wie sehr dieser Schlag geschmerzt haben musste, als er auf die Rippen prallte und mit scharfer Klinge das Fleisch spaltete; und er spürte, wie sein eigenes Fleisch auf den Knochen zuckte. Er besaß zwar einen kleinen Schild, aber sein Schwert war nur aus Holz, und bisher hatte er immer nur zum Spaß gekämpft. Eines Tages, das wusste er, würde er sich auch solchen Schlägen stellen müssen. Woher nahmen die Männer nur den Mut? Er setzte sich aufrecht hin und sagte sich, dass das mit dem Größerwerden käme. Je mehr sein Körper wuchs, umso mehr würde auch sein Mut wachsen. Sein Vater hatte keine Angst, im Schildwall zu stehen und sich den Speeren und Äxten zu stellen, auch die Männer aus der Familie seiner Mutter nicht. Ein Junge sah aus wie sein Vater und erhielt den Mut seiner Mutter, und seine Mutter entstammte einer Kriegerfamilie. Wenn es an der Zeit
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