Susan Price
Schutz eines Dickichts.
Die Verwalterin der Stadt, Aeditha, stand vor ihren Untergebenen und hoffte, für sie Fürsprache halten zu können. Es war nur diese Pflicht, die sie davon abhielt, sich in den Schlamm zu werfen und verzweifelt zu heulen, obwohl sie Linnen und Seide trug. Und sie musste außerdem an die arme Wahnsinnige denken. Es wäre besser für sie – sicherer – bei ihnen zu stehen, als allein herumzuhocken. Die Herrin streckte ihre Hand nach ihr aus. »Ebba. Komm her zu mir.«
Ebba stand sofort auf und folgte ihrer Anweisung. Sie war nicht immer so fügsam. Die Herrin ergriff ihre Hand, als sie näherkam, und zog sie an ihre Seite, obwohl sie nicht wusste, ob ihr Verhalten vernünftig war oder nicht. Das Mädchen stank und war dreckig und hatte außerdem einen Hang dazu, andere anzuspucken und zu schlagen. Aber es stimmte auch, dass Woden, der Wüterich, die Wahnsinnigen bevorzugte. Die Gunst Wodens konnten sie gut gebrauchen.
Ebba brachte ihr Gesicht nahe an das der Herrin heran und starrte sie mit diesen irren, tiefgründigen dunklen Augen an. Dann sagte sie: »Die Dänen kommen.«
Aeditha biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Tränen fanden gegen ihren Willen einen Weg. »Ich weiß«, sagte sie.
Die Angst vor den Dänen hatte sie seit Wochen verfolgt. Gerüchte hatten sie erreicht – von niedergerittenen Ernten, von niedergebrannten Feldern und Häusern, von gestohlenem Vieh. Und als die Dänen ihnen nähergekommen waren, waren die Männer gegen sie ausgezogen. Der Ehemann der Herrin und ihr Sohn hatten sie angeführt.
Als sie gesichtet wurden, schienen es nur wenige Dänen zu sein, und beim ersten Angriff waren sie wie feige Hasen geflohen. Die Sachsen hatten sofort die Verfolgung aufgenommen und dabei ihre Formation aufgegeben. Plötzlich hatten sich die Dänen ihnen gestellt, die Schilde zu einem beeindruckenden Wall aus Speeren geformt, und hinter den von Panik ergriffenen Sachsen waren weitere Dänen dem Boden entsprungen, um ihnen ihre Äxte in die Leiber zu treiben.
Die meisten Sachsen waren arme Männer, die nur mit selbst gemachten Speeren, Sicheln und langen Messern bewaffnet gewesen waren und ohnehin keine Helme oder Kettenhemden trugen. Sie hatten sich aus Verzweiflung dem Feind gestellt, aus Angst um ihre Familien und Felder. Die Dänen waren landlose Krieger, deren Leben nur aus Kampf bestand, und die sich gegen die Werkzeuge eines Bauern mit Kettenhemden und Helmen zu schützen wussten, ganz abgesehen von ihren Schwertern und Äxten. Sie hatten die Sachsen wie Schweine abgeschlachtet, die vor einem Festtag ihr Leben lassen mussten – Köpfe wurden abgehackt, Fleisch von den Knochen getrennt, Arme und Beine zerteilt, Körper ausgeblutet und entweidet.
Der alte Thane der Sachsen war getötet worden. Seinen Sohn hatte man lebendig gefangen genommen, und in seinen Körper hatten die Dänen den Blutadler geschnitten. Die Überlebenden berichteten, dass seine Schreie sie auf der Flucht verfolgt hatten, als sie die Hügel hinabstürmten, sich durch Dickichte einen Weg erkämpften, durch Bäche wateten und auf allen vieren davonkrochen, nur um zu entkommen.
Sie hatten Kingsborough die Nachricht überbracht. Es lag an der verwitweten Herrin, ihnen zu sagen, was sie nun tun sollten. Was konnte man tun? Ihr Herr war tot, und sie hatten nicht genügend unverletzte Männer zur Verfügung, um sich erfolgreich verteidigen zu können. Niemand würde ihnen zur Hilfe eilen. Auch wenn ihrem König elfische Kräfte nachgesagt wurden, so konnte er dennoch nicht an zwei Orten zugleich sein. Er und seine Armee jagten eine weitere Abteilung der Dänen und waren weit von der Stadt entfernt. Also hatte die Herrin das Öffnen des Tors befohlen, und sie hatte zur Begrüßung Bier und Brot bereitstellen lassen, als ob sie Gäste erwartete.
Die Dänen kamen. Sechzig berittene Männer. Ihre Pferde füllten den Innenhof und drängten die Frauen an die Königshalle. Der Krach wurde immer schlimmer, denn er hallte zwischen den Wänden: trampelnde und wiehernde Pferde, das Gebrüll der Männer, das Klirren von Metall auf Metall. Der Gestank von Pferdeschweiß, von Männern und der metallische Geruch von Blut. Plötzliche Hektik, als Pferde die Straßen entlangsprengten, um nach versteckten Männern zu suchen.
Die dänischen Anführer ritten in die Mitte des Innenhofs und saßen wartend auf ihren Pferden. Ebba hielt immer noch die Hand der Herrin und schaute zu dem Mann hoch, der ihnen näher
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