Susan Price
Schmerzen. Er wusste, er würde sterben, wenn er nicht aß, aber er konnte das Essen einfach nicht zu sich nehmen. Er wusste, er lag im Sterben, aber es bedeutete ihm nicht viel. Wenn es bedeutete, die Schmerzen würden ein Ende finden, dann sollte es ihm recht sein.
Die harte Wandbank fügte ihm blaue Flecken zu, wenn er sich auf ihr bewegte. Er versank in seinem Schmerz, der seinen Kopf und seinen Körper gefangen hielt, als ob er wie ein Stück Holz in einem tosenden Fluss fortgespült wurde, und lag regungslos in der Dunkelheit. Der Fluss trug ihn in eine Welt, die er bereits kannte. Er war schon einmal dort gewesen.
Der Schmerz in seinem Kopf ließ leicht nach, und als sein Bewusstsein stückweise zurückkehrte, spürte er eine Berührung auf seiner Stirn. Der Schmerz ließ weiter nach, und er erkannte die Berührung als Finger, als eine Hand. Ein Gefühl von Kälte und Klarheit schnitt wie ein eisiger Gebirgsbach durch den unerträglichen Lärm in seinem Kopf: ein Segen.
Seine Augenlider waren schwer und zuckten einige Male, bevor er sie öffnen konnte. Er blickte in ein umschattetes Gesicht, das von langen, schwungvollen Haarsträhnen umrahmt wurde. Er starrte es an, blinzelte ein paarmal, bevor er erkannte, dass es nicht der Priester war, auch nicht Unwin, sondern Elfling.
Wulfweard lächelte. Er war endlich an die Küste der Anderswelt gespült worden. Deswegen hatten die Schmerzen nachgelassen. Und sein Bruder hatte auf ihn gewartet. Wärme und Linderung flossen durch seine Gelenke und ließen ihn die Schmerzen in den kalten Händen und Füßen kaum noch spüren. Sein gesamter Körper entspannte sich. Es war gut, endlich gestorben zu sein.
Die Augen fielen ihm vor Müdigkeit wieder zu, und ob er nur kurz eingenickt war oder stundenlang geschlafen hatte, das wusste er nicht. Was ihn aber weckte, war das Geräusch von Regen – nein, der Wind, der durch unzählige Blätter fuhr und sie rauschen ließ. Er spürte immer noch die Berührung einer Hand auf seiner Stirn, und als er die Augen wieder öffnete, beugte sich Elfling immer noch über ihn, als ob nur ein Wimpernschlag vergangen wäre.
Sein Kopf bewegte sich unter Elflings Händen, und er schaute sich um. Er lag unter wuchtigen Ästen und sich kräuselnden Blättern, die sein gesamtes Blickfeld ausfüllten, seinen Horizont, dem Himmel gleich. Für einen Augenblick wurden sie von den züngelnden Flammen eines Feuers erhellt, nur um in jäher Dunkelheit wieder zu verschwinden. Die Blätter und der Feuerschein schienen ein Duett zu tanzen, bei dem keiner von beiden jemals stillstand, und ihre Bewegungen zauberten tiefe Täler aus Schatten herbei, die zugleich in feinsten, wechselnden Mustern aus Licht und Finsternis erstrahlten. Hier die mächtigen Äste, dort ein lichtumhülltes Blatt. Das Wechselspiel aus Licht und Dunkelheit war ein großartiger Anblick, doch erst durch das unaufhörliche Flüstern der Blätter und das Seufzen des Windes erhielt es seine Vollkommenheit.
Wulfweard bewegte seine Hand, und er spürte getrocknete Blätter zwischen den Fingern. Er lag auf weichem Untergrund, auf den gefallenen Blättern der vergangenen Jahrhunderte. Der Duft des Waldbodens umgab ihn, und er spürte unter sich, wie die großen Baumwurzeln die Erde durchwühlten, sich hoben und senkten, fast wie regelmäßige Atemzüge. Sein ständiger Schmerz verging, und er wusste nicht, ob Elflings heilende Berührung dies ermöglichte oder die Anwesenheit des Baums.
Er legte den Kopf in den Nacken, um Elfling anschauen zu können, und Elfling grinste über seine Verwunderung, als er einen Arm unter seine Schultern schob. Wulfweard versuchte, sich aus eigener Kraft aufzurichten, doch sein Körper war schwach und schwer zu kontrollieren, und das machte ihn wütend.
Das flackernde Licht stammte von einem Lagerfeuer in ihrer Nähe. Er konnte dessen sanfte, wärmende Berührung spüren. Ein Kessel hing an den Ketten eines Dreibeins über dem Feuer. Daneben kauerte ein alter Mann, der sich in einen Mantel gehüllt hatte, und eine Kapuze bedeckte sein Gesicht. Der Mantel war an den Stellen, an denen das Feuer ihn anstrahlte, blau. Als der Alte sah, wie Wulfweard sich aufsetzte, nahm er eine Holzschale und eine große Holzkelle von einem Stein neben dem Feuer und füllte die Schale am Kessel.
Er trug die dampfende Schale zu ihnen, und Wulfweard schnupperte den Duft eines saftigen, mit Fleisch gekochten Eintopfs, als er ihnen näherkam. Es rumorte in seinen Eingeweiden, und
Weitere Kostenlose Bücher