Susan Price
vermehrten sich wie die Maden aus dem Fleisch des Ersten. Und dann –«
Ud grinste. »Genug! Doch beantworte mir das, wenn du es kannst. Als mein Sohn, Ing, auf dem Scheiterhaufen lag, was habe ich ihm ins Ohr geflüstert?«
Ebba schüttelte den Kopf, denn sie wollte die Antwort nicht hören. Elfling beugte sich weit nach vorne, damit er in Uds Ohr flüstern konnte.
Sie sah, wie sich in Uds faltenreichem Gesicht ein Grinsen ausbreitete. Sie sah ihn während des Flüsterns nicken und nicken und nicken.
Zwischen den trockenen Blättern raschelte es plötzlich, und etwas bewegte sich im Baumschatten. Sowohl Ebba als auch Ud schauten in die Richtung des Geräuschs: Elfling drehte sich um.
Eine Frau trat ins Licht, eine große, wunderschöne Frau. Ihre langen Haare fielen ihr über die Schultern und ihre Brüste bis über die Hüfte hinab. Es schien zuerst dunkel zu sein, doch es blitzte rot auf, als sie sich dem Feuer näherte. Es war von langen grauen Strähnen durchzogen. Um ihren Hals lag eine breite goldene Halskette, die helle Lichtblitze von sich gab, und an ihrer Hüfte trug sie noch mehr Gold.
Elfling erblickte sie, erhob sich und ging zu ihr. Ebba sah, wie sie sich begrüßten und umarmten, und spürte einen Stich, als ob ihr Herz zwischen zwei Mühlsteinen zermalmt wurde. Was sehe ich da! Dass Elfling niemals ihr gehören würde, gehören konnte. Es war bedeutungslos, wie lange sie ihm folgte, was sie plante, was sie träumte. Sein Schicksal und auch das ihre waren vor langer Zeit bestimmt worden. Sie konnte nicht einmal eifersüchtig sein – das traute sie sich nicht.
Elfling ging mit Freya zum Baum und verschwand mit ihr in seinem Schatten. Ebba schaute ihnen schmerzerfüllt hinterher, bis sie bemerkte, dass Ud sie anschaute. Sein Auge funkelte, und er lächelte.
Sie atmete tief ein, legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf. Über ihr lag der sternenübersäte Himmel und seine Eiseskälte, über dem Graben der Burg, der mit Unrat übersät war. Sie erkannte auch die Blätter und Äste der großen Esche.
Ud lachte und machte eine Handbewegung. »Geh schon, meine Kleine – fort mit dir!« Ihr wurde schwindlig, als ob sie sich rückwärts bewegte, obwohl sie noch saß. »Geh zu ihnen, berichte ihnen, wie ich meine Runen gesungen habe. Sage ihnen, was ich aus ihm gemacht habe. Sage ihnen, was ich ihnen schicke. Sag ihnen, sie sollen ihn in neun Tagen erwarten. In neun Tagen!«
Was habe ich nur gesehen?, dachte Ebba und legte sich im Graben nieder.
STECHPALMENFEUER
Wo das Götterhaus einst gestanden hatte, war der Boden sauber gekratzt worden, unterbrochen nur von schwarzen Pfahllöchern. Einige der Holzpfähle standen noch und wurden zum ersten Mal seit Generationen von der Sonne beschienen. Das gräuliche Winterlicht glänzte auf der Fläche, die das Werk der Äxte freigelegt hatte. Einen Blick über diese Stelle auf Häuserwände zu werfen, die zuvor immer vom Götterhaus verdeckt gewesen waren, ließ Ebba frösteln. Alle Winkel in ihrem Blickfeld schienen nicht mehr zu stimmen, die Schatten fielen nicht, wie sie es sollten. Sie schrak zurück und schaute mit dem unbestimmten Gefühl nach oben, dort den Stamm und die Äste eines riesigen Baums vorfinden zu müssen.
Doch sie sah nur die Straßen der Burg und lachte und tanzte über den Boden, auf dem das Götterhaus gestanden hatte. Was sie gesehen hatte! Im Vergleich dazu schien Unwins radikaler Abbruch des Götterhauses reine Zeitverschwendung zu sein. Sie drehte sich wild im Tanz und klatschte in die Hände. Menschen, die an ihr vorbeikamen, wichen vor ihr zurück. Jeder kannte das wahnsinnige Mädchen.
Ihre Angst ließ sie nur noch lauter lachen. »Heute ist der achte Tag!«, rief sie. »Morgen – ach, was ihr nur sehen werdet!«
Die Menschen wandten ihren Blick ab und gaben vor, sie nicht gehört zu haben, doch sie hatten jedes Wort vernommen. War sie wieder fort, so redeten sie miteinander, die Sachsen und die Dänen. Neun Tage. Das wahnsinnige Mädchen, Wodens Mädchen, plapperte die ganze Zeit von neun Tagen. Die Zahl hatte etwas Magisches an sich. Neun Tage hing Odin am Baum …
Und Jul wurde nicht gefeiert, denn Unwin bereitete sich auf das Fest seines neuen Gottes vor, Christus. Den Leuten gefiel das nicht. Ebba bekam mit, was sie sagten, Unwin aber nicht. Ein altes Gästehaus sollte als christliches Gotteshaus gesegnet werden, und diejenigen, die dort untergebracht gewesen waren, wurden hinausgeworfen und mussten sich in
Weitere Kostenlose Bücher