Susan Price
um den Beifall und den Jubel entgegenzunehmen. Er hob die Arme, sodass der Umhang in anmutigen Linien zurückfiel. Im hellen Sonnenlicht des Frühlingsbeginns gab er gewiss eine beeindruckende Figur ab.
Jedenfalls glaubte er das. Aber die Reaktion, die er erhielt, war nicht, was er gewollt hatte. Urplötzlich war der Jubel abgebrochen, und Schweigen hatte sich ausgebreitet. Mit schockierten Gesichtern starrten die Menschen auf etwas, das sich hinter ihm befand. Einige zeigten sogar mit den Fingern.
Athelric drehte sich blitzschnell herum und taumelte überrascht ein wenig zur Seite, als er feststellte, dass er nicht allein auf dem Stein stand.
Hinter ihm, auf der anderen Seite des Fußabdrucks, wo der Stein sich etwas höher wölbte, stand ein junger Mann. Auf den ersten Blick sah Athelric die kostbare Kleidung, feiner grüner Stoff, Goldborten und -fransen: alle Goldornamente eines Athelings.
Athelric trat einen Schritt zurück, um seinen Gegenspieler besser anschauen zu können. Mit diesem Schritt hatte er den Stein verlassen und stand im Gras. Er wäre schnell wieder auf den Stein getreten, wäre da nicht das Gesicht des jungen Mannes gewesen. Er erkannte es, und der Schock ließ ihn erstarren, so wie viele Zuschauer vor Schreck erstarrt waren.
Das Gesicht war das seines toten Bruders Eadmund, doch nicht des alten Mannes, der gestorben war. Hier stand der junge Eadmund, hochgewachsen, schlank, stark und muskulös, mit einer golden schimmernden Haarwolke um das Antlitz. Athelric wollte sprechen, vermochte aber kaum zu atmen. Missbilligte Eadmund seine Nachfolge – war er als ein Geist erschienen? Doch warum in dieser Gestalt? Es musste aber ein Geist sein. Kein menschliches Wesen konnte hinter ihm auf den Stein gelangen. Die Bewaffneten hätten dies nie und nimmer zugelassen …
Als die Menschen auf den Hängen des Hügels hörten, wie der Jubel plötzlich abbrach, schauten sie sich fragend an. Da das Schweigen andauerte, wagten die Tapfersten, den Hang hinaufzukriechen, um durch die Phalanx der Bewaffneten einen Blick zu erheischen, was geschehen war. Ebba war sich nicht bewusst, was sie tat. Sie warf sich gegen die Reihe der Bewaffneten und versuchte hindurchzubrechen. Einer packte sie am Arm und schleuderte sie zurück. Sie rollte den Hang hinab und riss andere mit sich. Benommen und voller Prellungen lag sie da und schaute durch die Äste zum Himmel.
Diejenigen in den ersten Reihen der Menge standen und starrten in atemlosem Schweigen. Vor ihren Augen war die Gestalt des Jünglings hinter Athelric erschienen, als sei er durch eine unsichtbare Tür getreten oder durch einen unsichtbaren Vorhang gekommen. Wie Unwin konnten sich viele nicht mehr an den alten König als jungen Mann erinnern und glaubten, dass nicht Eadmund dort stünde, sondern der Atheling Wulfweard. Die Männer am dichtesten neben Unwin hatten ihn sprechen hören, als der Jüngling erschienen war, aber niemand hatte verstanden, was er gesagt hatte.
Als der Jüngling sprach, wusste Unwin über jeden Zweifel hinaus, dass es nicht Eadmund war und auch nicht Wulfweard. Er war nicht sicher, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Mit einer Stimme, welche im Freien von allen gehört wurde, die die Krone des Hügels umstanden, sagte der Jüngling: »Ich hörte Hörner blasen, aber ich hörte keinen Laut vom Stein.«
Athelric war so unfähig zu antworten, dass er hilfeheischend seinen Neffen Unwin anschaute, als wolle er, dass dieser für ihn spreche. Doch niemand auf dem Hügel gab eine Antwort. Es gab welche, die geschworen hätten, dass der Stein bei der Berührung mit Athelrics Fuß aufgeschrien hatte, aber die Erscheinung des jungen Mannes aus der Luft brachte sie zum Schweigen. Und diejenigen, die wussten, dass die ganze Sache mit dem Stein lediglich eine Darbietung war, um die Dummen zu beeindrucken, plagten jetzt Zweifel und Unsicherheit.
Unwin schritt näher zum Stein, wobei seine Schwertscheide klirrend gegen das Kettenhemd schlug, aber er konnte nichts sagen. Er betrachtete nur fasziniert das Gesicht, das dem seines verschollenen Bruders so ähnelte.
Der Jüngling legte die Hände auf die Griffe der Waffen, die an seiner Seite hingen: auf das schwarze Heft eines Schwertes und den mit Goldintarsien geschmückten Griff eines Sax. Er schaute in die Runde, auf die Bewaffneten, auf die gaffenden edlen Frauen und Herren. Dabei hoben sich die dünnen Zöpfe neben seinem Gesicht und drehten sich im Wind. »Wer ist sonst noch hier
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