Susannah 4 - Auch Geister lieben süße Rache
Meine Stimme steigerte sich zu absolut verzweifeltem Geschluchze. »Was soll ich jetzt bloß tun?«
Der arme Pater Dom. Mit Frauen, die sich verzweifelt an seinen Hals schmissen, hatte er bestimmt nicht sehr viel Erfahrung. Das merkte man ihm auch deutlich an. Er hatte keine Ahnung, wie er reagieren sollte. Er tätschelte
mir wieder die Schulter. »Schsch, es wird ja alles wieder gut«, sagte er, aber ich spürte, dass ihm das alles sehr unangenehm war. Vielleicht hatte er Angst, dass Andy gleich reinkommen und denken könnte, Pater Dominic hätte etwas Falsches gesagt und mich damit zum Weinen gebracht.
Was natürlich lächerlich war. Als ob Worte mich zum Weinen hätten bringen können!
Nachdem er ein paar Minuten lang »Schsch, es wird alles wieder gut« gesagt und dabei steif meine Schulter getätschelt hatte, musste ich plötzlich lachen.
Ich meine, es war aber auch zu komisch. Tragikomisch.
»Soll das ein Witz sein?«, fragte ich, löste mich von Pater Dominic und schaute ihn aus tränenfeuchten Augen an. »Gar nichts wird wieder gut! Klar? Nie wieder!«
In Sachen Umarmen war Pater Dominic vielleicht kein Experte, aber in der Taschentuch-Abteilung war er gut ausgestattet. Er fischte sein Tüchlein aus der Tasche und tupfte mir damit die Augen. Ich hatte schon ein paarmal gesehen, wie er das bei kleinen Kindern in der Schule gemacht hatte - bei Kindern, die über ein runtergefallenes Eis oder solche Sachen heulten. Und jetzt tat er das bei mir!
»Kommen Sie, Susannah«, sagte er und tupfte und tupfte. »Das ist nicht wahr, und das wissen Sie auch.«
»Pater«, entgegnete ich. »Natürlich ist es wahr. Jesse ist weg, und das ist alles nur meine Schuld.«
»Wieso sollte das Ihre Schuld sein?« Er sah mich missbilligend an. »Das ist überhaupt nicht Ihre Schuld!«
»Doch. Das haben Sie doch selber gesagt. Ich hätte Sie gleich anrufen sollen, sobald ich erfahren habe, dass Jack ein Mittler ist. Aber nein, ich dachte, ich komme ganz allein damit klar. Ich dachte, das ist doch ein Kinderspiel. Und was hab ich damit erreicht? Jesse ist weg! Für immer und ewig!«
»Es ist wirklich eine Tragödie«, gab mir Pater Dominic recht. »Und eine große Ungerechtigkeit. Jesse war Ihnen so ein guter Freund … und mir auch. Aber sehen Sie es doch mal so, Susannah …« Endlich hatte er es geschafft, die meisten Tränen aus meinem Gesicht zu wischen, und steckte sein Taschentuch wieder ein. »Er hat so viele Jahre in dieser Zwischenwelt verbracht … Jetzt hat sein Kampf endlich ein Ende und vielleicht kann er nun seinen wohlverdienten Lohn empfangen.«
Ich kniff die Augen zusammen. Wovon redete er denn da?
Pater Dom musste mir angesehen haben, dass ich nichts verstand. »Denken Sie doch mal darüber nach, Susannah. Hundertfünfzig Jahre lang war Jesse zwischen seinem letzten Leben und dem nächsten gefangen. Über die Art, wie seine Erlösung stattfand, kann man natürlich streiten, aber eins steht jedenfalls fest: Er hat den Sprung an sein endgültiges Ziel endlich geschafft.«
Ich wich zurück und hüpfte von der Fensterbank herunter. Hektisch tigerte ich im Zimmer hin und her, dann wirbelte ich zu Pater Dominic herum.
»Was reden Sie denn da?«, stieß ich hervor. »Jesse war aus einem bestimmten Grund hier. Ich weiß nicht, aus welchem Grund, und ich bin mir auch nicht sicher,
ob er das selber wusste. Aber so oder so - er wollte und sollte hierbleiben, in dieser ›Zwischenwelt‹, bis alles geklärt war. Jetzt wird er nie Gelegenheit haben, irgendwas zu klären. Er wird nie erfahren, warum er so lange hier ausharren musste.«
»Ich verstehe Sie ja, Susannah«, sagte Pater Dominic mit einer Stimme, die ich entnervend ruhig fand. »Wie gesagt, es ist eine Tragödie. Aber … Jesse ist jetzt nun mal weitergewandert, und wir sollten uns zumindest freuen, dass er seinen ewigen Frieden gefunden hat …«
»Oh Mann!« Meine Stimme überschlug sich, aber das war mir egal. Ich war stinksauer. »Ewiger Frieden? Woher wollen Sie denn wissen, dass er den gefunden hat? Kein Mensch kann das wissen!«
»Ja«, sagte er. Er war sichtlich darum bemüht, seine Worte sorgsam auszuwählen. Als wäre ich eine Zeitbombe, die jederzeit hochgehen konnte.
»Sie haben recht«, meinte er leise. »Das kann ich nicht wissen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Ihnen und mir, Susannah. Ich habe Gottvertrauen.«
Ich rauschte mit drei großen Schritten auf ihn zu. Nein, ich wollte ihn nicht schlagen. Klar, meine Aggressionsgrenze
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