Susannah - Auch Geister koennen kuessen
Hatte ich nicht. Dann fragte er meine Mutter dasselbe. Auch von ihr ein Nein. Also stand Pater Dominic auf und sagte: »Gut, dann möchte ich mich jetzt von Ihnen verabschieden, Mrs Ackerman, und Susannah zu ihrer ersten Unterrichtsstunde begleiten. Einverstanden, Susannah?«
Ich fand es etwas merkwürdig, dass der Direktor, der vermutlich genug anderes zu tun hatte, sich die Zeit nahm, mich höchstpersönlich zur ersten Stunde zu begleiten, aber ich sagte nichts dazu. Ich griff nur nach meiner Jacke – einem edlen schwarzen Schurwolle-Teil von Esprit, très chic (meine Mutter hatte mir nicht erlaubt, am ersten Schultag meine Lederjacke anzuziehen) – und wartete, während er und Mom sich mit einem Händedruck verabschiedeten. Dann gab mir Mom einen Kuss und erinnerte mich daran, mich um drei auf die Suche nach Schlafmütz zu machen, der mich heute nach Hause fahren sollte – nur dass sie ihn natürlich nicht Schlafmütz nannte. Blöderweise gab es nämlich auch keine öffentlichen Verkehrsmittel, die zur Schule fuhren, und so war ich darauf angewiesen, mich von meinen Stiefbrüdern zur Schule und wieder nach Hause kutschieren zu lassen.
Als sie weg war, bat Pater Dominic Adam, sich noch ein Weilchen zu gedulden, und führte mich dann quer über den Innenhof.
»Null Problemo, Padre «, erwiderte Adam und griente mich hinter Pater Dominics Rücken anzüglich an. Das passierte mir mit gleichaltrigen Jungs wahrlich nicht oft. Hoffentlich ging er in meine Klasse. Vielleicht würde sich der Wunsch meiner Mutter dann endlich erfüllen, dass ich mehr unter Leute kam.
Im Gehen erzählte mir der Direktor einiges über das Schulgebäude beziehungsweise das Gebäudeensemble, aus dem die Schule bestand. Einige dickwandige rote Häuser im Pueblostil umrahmten den wunderschönen Innenhof samt Palmen und Springbrunnen. In der Mitte des Hofes ragte eine Bronzestatue von Pater Serra auf, zu dessen Füßen mehrere Frauen knieten – stereotype Indianersquaws, mit Säuglingen auf dem Rücken und allem Drum und Dran. Um den Hof herum führten zu allen vier Seiten niedrige Säulengänge, der sogenannte Kreuzgang, der die Gebäudeteile miteinander verband. Vor dem Säulengang, der der Statue gegenüberlag, standen einige Steinbänke, auf die man sich setzen konnte, um die herrliche Ruhe und Abgeschiedenheit des prunkvollen Innenhofs zu genießen. Die Türen zu den Klassenräumen und die Spinde waren direkt in die roten Mauern eingelassen. Einer dieser Spinde, erklärte Pater Dominic, war mir zugeteilt. Er habe den Schlüssel dabei – ob ich meine Jacke vielleicht wegschließen wollte?
Als ich am Sonntagmorgen aufgewacht war, hatte ich zu meiner Verblüffung festgestellt, dass ich vor Kälte zitterte. Ich musste aus dem Bett springen und die Fens ter zumachen. Dicker Nebel hatte sich zu meinem Entsetzen über das Tal gesenkt und verbarg den Blick auf die Bucht. Ich war mir sicher, dass ein schreckliches tro pisches Unwetter im Anmarsch war, musste mich aber von Schweinchen Schlau aufklären lassen, dass so ein Morgennebel typisch für den Nordwesten Amerikas war und dass der Pacifico - was auf Spanisch »regungs los« hieß – seinen Namen deswegen bekommen hatte, weil er vergleichsweise wenig Stürme bot. Der Nebel, versicherte mir Schweinchen Schlau, würde sich bis zum Mittag verzogen haben und dann würde es genauso heiß werden wie am Tag zuvor.
Und er behielt recht. Als ich vom Strand nach Hause kam, sonnenverbrannt und glücklich, hatte sich mein Zimmer längst wieder in einen Backofen verwandelt, und ich musste wieder alle Fenster aufreißen. Und als ich am nächsten Morgen – also heute – aufwachte, stellte ich fest, dass jemand – vermutlich Mom – sie leise wie der zugemacht hatte. Wie lieb von ihr, sich so um mich zu sorgen.
Zumindest hoffte ich, dass es Mom gewesen war. Wenn ich so darüber nachdachte … aber nein, ich hatte Jesse seit dem Tag meines Einzugs nicht mehr gesehen. Bestimmt hatte Mom die Fenster zugemacht.
Auf dem Weg nach draußen, zu Moms Wagen, hatte ich wieder total gefroren und deswegen hatte ich jetzt meine Wolljacke dabei.
Mein Spind hatte die Nummer 273, teilte Pater Dominic mir mit, und er wollte offensichtlich, dass ich ihn allein fand. Er ließ mich einen Schritt vorausgehen und folgte mir in einigem Abstand, während er die vielen Schwalben betrachtete, die zu seiner großen Freude jedes Jahr aufs Neue unter den Sparren der Bogengänge nisteten. Anscheinend mochte er Vögel sehr
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