Susannah Bd.3 - Auch Engel sind gefährlich
als uns plötzlich mit lautem Gedröhn ein Wohnmobil entgegengeschossen kam. Die Straße war eigentlich nicht breit genug für zwei Fahrzeuge, und angesichts der Tatsache, dass uns nur eine Metall-Leitplanke vom Abgrund trennte, fand ich die Situation doch etwas bedrohlich. Michael dagegen stieß einfach bloß ein Stück zurück - so schnell waren wir nun doch nicht unterwegs gewesen - und fuhr dann an die Seite, um das Wohnmobil vorbeizulassen. Mit höchstens zwanzig Zentimetern Abstand brauste es an uns vorüber.
»Meine Güte«, sagte ich und schaute dem Ungetüm nach. »Ganz schön gefährlich hier, was?«
Michael zuckte mit den Schultern. »Eigentlich hupt man hierzulande, bevor man um diese Kurve fährt. Damit die Entgegenkommenden Bescheid wissen, dass was im Anmarsch ist. Aber das da waren Touristen und wussten das wohl nicht.« Er räusperte sich. »Also … hier ist es passiert. Am Samstagabend.«
Ich setzte mich ruckartig aufrecht hin. »Das …«, ich schluckte trocken, »das ist die Stelle?«
»Ja«, sagte Michael ohne jegliche Veränderung der Stimmlage. »Hier ist es passiert.«
Jetzt, wo ich es wusste, sah ich auf einmal auch die
Spuren des Unfalls: die schwarzen Reifenabrieb-Striemen auf der Straße, wo Josh versucht hatte zu verhindern, dass der Wagen in den Abgrund stürzte. Die Leitplanke war bereits ersetzt worden - das neue Stück aus frisch glänzendem Metall prangte genau da, wo auch die Reifenspuren waren.
»Können wir kurz anhalten?«, fragte ich leise.
»Klar«, antwortete Michael.
Gleich hinter der nächsten Biegung war ein Aussichtsplatz, keine dreißig Meter von der Stelle entfernt, wo die beiden Wagen sich eben nur um Haaresbreite verpasst hatten. Michael fuhr in die Aussichtsbucht und stellte den Motor ab.
»Das ist ein offizieller Aussichtspunkt«, sagte er und deutete auf das hölzerne Schild vor uns. AUSSICHTSPUNKT, stand da. KEINEN MÜLL BITTE. »Hier kommen am Wochenende viele Jugendliche aus der Gegend her.« Michael räusperte sich und sah mich bedeutungsschwanger an. »Dann parken sie hier.«
Bis zu diesem Augenblick hatte ich keine Ahnung gehabt, dass ich mich so schnell bewegen konnte wie jetzt, als ich aus dem Auto stürzte. Ich hatte mich abgeschnallt und aus dem Wagen katapultiert, noch bevor man Ektoplasma hätte sagen können.
Die Sonne war nun beinahe vollständig verschwunden und es wurde langsam fröstelig. Ich schlang mir die Arme um den Oberkörper und stellte mich auf die Zehenspitzen, um über die Felskante zu spähen. Die Haare peitschten mir ins Gesicht. Der Wind war hier oben viel
wilder und kälter als unten am Strand. Das rhythmische Pulsieren des Ozeans unter uns war ohrenbetäubend, viel lauter als die Autos, die auf dem Highway an uns vorbeibrausten.
Es gab keine Möwen, fiel mir auf. Und auch keine anderen Vögel.
Das hätte mir ein erster Hinweis sein sollen. Aber wie üblich entging mir der Wink mit dem Zaunpfahl komplett.
Ich dachte die ganze Zeit bloß daran, wie steil es hier nach unten ging. Der felsige Abhang fiel mindestens hundert Meter senkrecht ab, bis zu den Wellen, die sich an den riesigen Brocken brachen, die von vielen Erdbeben von den Klippen losgerissen worden und unten zerschellt waren. Das hier war nicht gerade die Sorte Felsnase, von der jemand ins Wasser getaucht wäre - nicht mal Elvis in seiner besten Acapulco-Zeit.
Seltsamerweise bedeckte ein kleiner Sandstrand die Stelle, an der Joshs Wagen nach unten gestürzt war. Nicht gerade der beste Ort zum Baden, aber ganz hübsch für ein Picknick, sofern man bereit war, bei der Kletterpartie nach unten Kopf und Kragen zu riskieren.
Michael war meine Blickrichtung offenbar nicht entgangen. »Ja, da unten sind sie aufgekommen«, sagte er. »Nicht im Wasser. Na ja, zumindest nicht sofort. Aber irgendwann kam die Flut, und …«
Schaudernd sah ich weg.
»Gibt’s irgendwo einen Weg nach unten?«, fragte ich.
»Klar.« Michael deutete auf eine Lücke in der Leitplanke.
»Da drüben ist ein Pfad. Wird normalerweise nur von Wanderern benutzt, aber manche Touristen trauen sich auch drauf. Der Strand da unten ist echt unglaublich. Solche Riesenwellen hast du bestimmt noch nie gesehen. Aber zum Surfen ist es leider zu gefährlich - zu viele Unterströmungen.«
Ich sah ihn im violetten Zwielicht neugierig an. »Du warst also schon mal da unten?«
Der überraschte Ton in meiner Stimme war wohl nicht zu überhören. »Klar doch«, sagte Michael lächelnd. »Ich bin hier
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