Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
ernst und feierlich um ihn herum. Schwester Hackett aber flötete: >Ja, Herr Professor, gewiß, Herr Professor, sie ist bereits angerichtet<. Ob du es nun glaubst oder nicht, aus der Küche erschien eine Schwester mit einer Tasse Bouillon, die mit einer weißen Serviette zugedeckt war, als befänden sich die Kronjuwelen darin.«
»Connie, das ist doch nicht wahr!«
»Doch, doch. Aber nun weiter. Gab die Schwester ihm die Tasse etwa in seine geheiligte Hand? Nein, das tat sie nicht. Sie war von zu niederer Herkunft, um sich seiner Majestät nähern zu dürfen. Daher stellte sie die Tasse auf den Kaminsims, von wo er sie dann zu nehmen geruhte. Ich wunderte mich nur, daß die Assistenzärzte nicht niederknieten, während er trank.«
»Aber wozu das ganze Theater?«
»Da fragst du mich zuviel. Nachdem er die Suppe genossen hatte, machte er die Runde im Saal. Er beschäftigte sich eine Ewigkeit mit jedem Patienten und hielt den Assistenzärzten ausführliche Vorträge. Dieser Teil der Vorstellung gefiel mir übrigens«, fügte sie ernst werdend hinzu. »Der Mann war wunderbar, als er über die jeweiligen Erkrankungen sprach. Ich war ganz hingerissen. Auf dieser Station gibt es ein paar sehr interessante Fälle. Wir können hier viel lernen.«
»Sprecht ihr über Kaiser Augustus?« fragte eine Stimme hinter den beiden.
Susy und Connie wandten sich um. Susy sprang rasch vom Abwaschtisch herunter. Die Seniorin von Station 7 stand in der Tür.
»Ich kann euch sagen, was mit dem los ist«, sagte sie, während sie Connie einen sonderbaren Blick zuwarf. »Er hat eine wahre Xanthippe zur Frau. Unser Krankenhaus ist der einzige Ort, wo man ihm Respekt entgegenbringt. Ich glaube, es ist ihm ein wenig in den Kopf gestiegen. Aber das macht nichts. Dafür ist er auch eine Kanone auf seinem Gebiet.«
Sie stopfte einen Armvoll Wäsche in einen Sack und ging wieder fort.
»Der arme Kerl!« sagte Connie. »Solch ein Krankenhaus ist doch ein Paradies für Ärzte, die unter dem Pantoffel stehen.« Sie war mit ihrer Seifenlauge fertig und eilte in den Saal zurück.
Susy blieb allein. Sie dachte über den sonderbaren Blick nach, mit dem die Seniorin Connie angesehen hatte. Susy hatte ähnliches schon bei anderen Schwestern beobachtet. Selbst Connies Klassenkameradinnen verhielten sich zurückhaltend ihr gegenüber. Warum bloß? Alle behandelten Connie, als wäre sie ein fremdartiges Tier, vor dem man sich in acht nehmen müßte. Dabei war sie so ein lieber Kerl!
Susy beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. In der nächsten Zeit bot sich ihr mancher Anlaß, darüber nachzugrübeln, ohne jedoch eine Erklärung finden zu können. Sie bemerkte, daß alle Schwestern Connie höflich behandelten, aber nicht mit ihr scherzten und sie auch nicht hänselten. Wenn Susy eine Arbeit gut oder schlecht verrichtete, wurden immer eine Menge Bemerkungen dazu gemacht, und sie bekam unaufgefordert von allen Seiten Ratschläge. Aber über Connies Arbeit sagte niemand etwas, außer Schwester Hackett, und diese tat es mit gesuchter Unpersönlichkeit. Die Patienten hatten Connie gern, und die Hausärzte blieben oft stehen, um sie zu grüßen. Aber die Schwestern behandelten sie kühl.
Schließlich konnte Susy es nicht länger mit ansehen. Connie war viel zu empfindsam, um die Zurückhaltung der Schwestern ihr gegenüber nicht zu bemerken. Wahrscheinlich litt sie heimlich darunter. Es mußte etwas geschehen.
»Warum mögt ihr Connie Halliday eigentlich nicht?« fragte Susy an einem Nachmittag die Küchenschwester, als die beiden in der überhitzten kleinen Küche die Tablette für die Patienten zurechtmachten.
»Ich habe nichts gegen sie«, antwortete die Küchenschwester einsilbig und stellte ein Tablett so heftig auf den Tisch, daß es klirrte.
»Es muß doch etwas dahinterstecken«, beharrte Susy. »Alle behandeln Connie wie einen Außenseiter. Warum bloß?«
Nach kurzem Zögern antwortete die Küchenschwester: »Ich will gar nichts gegen Schwester Halliday sagen. Sie tut ihre Arbeit - soweit. Aber wir haben zu oft solche ihrer Art gesehen, um auf sie hereinzufallen.«
»Solche ihrer Art? Wie meinen Sie das?«
»Na, ich meine diese reichen Mädchen. Der Schwesternberuf ist ihnen im Grunde vollkommen gleichgültig. Sie kommen nur aus Sensationslust her und denken gar nicht daran, dabeizubleiben. Und wenn sie wirklich die Absicht haben, dabeizubleiben, entdecken sie eines Tages, daß sie genauso wie alle anderen arbeiten müssen und daß
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