Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
kommen. Jedesmal, wenn das schrille Klingeln ertönte, schreckte Susy zusammen.
Da läutete es schon wieder.
»Hier ist Station 7, Schwester Hackett. Ja, gewiß. Sofort.« Es war
immer dasselbe Lied. Aber nein!
»Schwester Halliday, gehen Sie bitte zur Schulleitung.«
Connie stellte einen Krug mit Eiswasser, den sie in der Hand hielt, sorgsam auf den Tisch und wandte sich um. »Danke, Schwester Hackett.«
Sie warf einen mitleiderregenden Blick auf Susy und ging in guter Haltung zur Tür Susy bemerkte, daß sie sich einen Augenblick an der Türklinke festhielt. Dann ging sie hinaus und schloß die Tür hinter sich.
Die Patienten blickten teilnahmsvoll zu Susy hin, die mit blinden Augen Betten machte. Natürlich würde Connie ihre Haube bekommen. Daran war nicht zu zweifeln. Sie mußte sie bekommen, denn sie liebte das Krankenhaus - wenn die anderen Schwestern das auch nicht wahrhaben wollten.
Susy ging zum nächsten Bett und zog die zerknüllte Bettwäsche ab. Nach einer Weile gestattete sie sich einen Blick auf die Uhr. Connie war bereits zwanzig Minuten fort. War irgend etwas passiert? Nein, nein, das konnte ja nicht sein! Sie hörte nicht, daß die Tür geöffnet wurde. Ein erregtes Murmeln durchlief den Saal. Schnell sah sie auf.
Connie, die kleine schmale Connie, ging mit hoch erhobenem Kopf zwischen den Betten durch den Saal. Ihre Augen leuchteten, und ihr Mund bebte ein wenig. Aber das bemerkte Susy nicht. Sie sah nur eins. Connie trug eine Haube.
»Hoch, Schwester Halliday!«
»Ah, unsere neue Schwester! Jetzt ist sie erst wirklich eine.«
»Meine Glückwünsche, Schwester Halliday!«
Nachdem Schwester Hackett ihr die Hand geschüttelt hatte, kam Connie strahlend auf Susy zu.
»O Connie, ich freue mich so!«
Connie ergriff Susys ausgestreckte Hand. »Ich weiß, mein Gutes. Vielen Dank.« Dann wurde sie ernst. »Denk nur, Margarete Bär geht ab, und das dünne blonde Mädchen aus der ersten Abteilung ebenfalls. Man hat Margarete gesagt, sie sei noch zu jung. Sie soll nach zwei Jahren wiederkommen, wenn sie will. Warum die andere fortgeschickt wurde, weiß ich nicht. Sie hat es keinem erzählt.«
»Wie schrecklich! Die armen Dinger! Aber - hat Kit ...«
»Natürlich hat sie ihre Haube. Und Hilda auch.« Connie brach plötzlich ab. Susys roter Haarschopf wirkte so auffallend kahl und bloß.
Sie gingen schweigend an ihre Arbeit. Draußen heulte der Wind ums Haus und rüttelte an den Fensterläden. Susy preßte mit kalten Händen Apfelsinen aus. Sie befand sich in der engen und unbequemen Küche, die viel zu klein für den Stationsbetrieb war. Trotzdem - wie schön war es, hier tätig zu sein! Bald sollten neue Küchen gebaut werden. Wie schön würde es sein, darin zu arbeiten!
Aber wenn es nun gar nicht dazu kam? Sollte sie etwa nie wieder über den Fußboden des alten Krankenhauses laufen, den die emsigen Füße der Krankenschwestern im Laufe der Jahre abgetreten hatten? Nie wieder die langen Reihen der weißen sauberen Betten sehen und die warme Luft des Krankensaales auf ihren Wangen spüren? Sollte sie hier nie wieder eifrig und glücklich ihre Arbeiten verrichten, während draußen kalter Regen auf rote Backsteine, auf grauen Granit und vor Nässe glänzende Efeublätter tropfte? Susy würgte etwas im Hals.
Die Tür wurde aufgerissen. »Zur Schulleitung, Schwester Barden!«
»Ja, Schwester Hackett.«
Plötzlich war die schmerzhafte Spannung verschwunden. Susy spürte nur noch etwas die Müdigkeit. Ihre Füße trugen sie mechanisch die Treppe hinunter und durch die langen Korridore in die große hohe Halle. Beim Anblick der Tür zur Schulleitung wurde es Susy ein wenig kalt.
Wie bei ihrer Ankunft sahen vier Paar Augen Susy prüfend an. Aber diesmal kam noch ein fünftes Augenpaar hinzu. Fräulein Matt- hes stand neben einem Schreibtisch, auf dem ein Haufen weißer Hauben lag. Sie lächelte freundlich.
»Kommen Sie herein, Schwester Barden.«
Susy trat ins Zimmer. Ohne ein weiteres Wort nahm Fräulein Matthes eine der Hauben in die Hand. Bevor Susy Zeit fand, die Bedeutung dieser Bewegung zu erkennen, fühlte sie eine leichte Berührung auf ihrem Kopf.
Fräulein Matthes steckte die Haube selber fest. »So, Schwester Barden! Es sieht sehr hübsch aus. Ich gratuliere Ihnen.«
»Ich - ich ...« stotterte Susy.
»Schon gut, Schwester Barden. Wir wissen genau, was Sie empfinden. Es erfüllt mich mit Befriedigung, Ihnen sagen zu können, daß Ihre Arbeit ausgezeichnet war und daß wir uns
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