Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
freuen, Sie in unserer Schule zu haben. Sie sind die zweitbeste in Theorie - die beste ist Schwester Wilmont -, und Fräulein Cameron schätzt Sie sehr. Ich
hoffe, Ihre Leistungen werden auch weiterhin gut bleiben.«
Es war fast zuviel für Susy. Sie fühlte zu ihrem Schreck, daß ihre Augen sich mit Tränen füllten. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihr, sie zurückzuhalten.
»Vielen Dank, Fräulein Matthes. Ich - ich bin sehr stolz.«
»Das ist fein. Um zwei Uhr finden Sie sich bitte in der Nähstube ein, um sich für Ihre graue Tracht Maß nehmen zu lassen. Sie können jetzt gehen, Schwester Barden.«
Susys Füße schienen kaum den Boden zu berühren, als sie zurücklief. Assistenzärzte und Schwestern, die sie gar nicht kannte, riefen ihr unterwegs Glückwünsche zu. Sie tastete mit der Hand nach ihrem Kopf. Ja, die Haube war wirklich da und würde nun immer da sein. Sie wollte zuerst zur Station 23 gehen und sich Schwester Waring vorstellen. Auf der Treppe begegnete sie Schwester Weiss, die ihr auf den Rücken klopfte und herzlich gratulierte. Zu Susys Enttäuschung fügte sie hinzu: »Schwester Waring ist nicht da.«
Betrübt ging Susy zur Station 7. Aber an diesem Tag war eine Enttäuschung leicht verwunden. Die ganze Station begrüßte Susy mit großem Hallo. Alle schüttelten ihr die Hand und behaupteten, es immer gewußt zu haben, daß sie es schaffen würde. Susy war vor Freude ganz taumelig zumute. Als sie zum Essen ging, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, rasch in ihr Zimmer zu laufen und einen Blick in den Spiegel über der Kommode zu werfen. Sie riß die Tür auf und stürzte ins Zimmer. Was war denn das? Jemand mußte während ihrer Abwesenheit hier gewesen sein. Susy griff neugierig nach der Visitenkarte, die auf dem Tisch lag. Darum war ein schwarzes Samtband gewickelt, das schwarze Band der Stabsschwestern. Susy nahm es ab und las: »Nach drei Jahren zu tragen! Herzliche Glückwünsche von E. W. Waring.«
»Oh!« rief Susy gerührt. Und dann: »Was für ein reizender Einfall! Die Gute!«
Sie rollte das schwarze Samtband behutsam zusammen und legte es in ihren Handschuhkasten. Heute in drei Jahren würde sie es wieder herausnehmen - für immer. Das wußte sie genau, ebenso wie Schwester Waring es wußte.
Aber die Liebe ist die größte unter ihnen
Die ganze Nacht hatte es bei vollkommener Windstille unaufhörlich geschneit. Dächer und Rasenflächen trugen eine Decke von fleckenlosem Weiß. Susy taute mit ihrem Atem den zarten Frosthauch von der Fensterscheibe fort und blickte nachdenklich zu den erleuchteten Krankensälen hinüber. Hinter ihr im Zimmer war es still. Nur ab und zu, wenn Kit eine Seite ihres Buches umschlug, wurde ein Rascheln hörbar. Susy wandte sich zum Bett um. »Was mag sie nur vorhaben?«
»Keine Ahnung«, brummte Kit, ohne aufzusehen.
Susy durchquerte das Zimmer mit zwei großen Schritten und schüttelte sie an den Schultern.
»He!« schrie Kit, sich wehrend. »Gib auf meine Haube acht!«
»Hör gefälligst zu, wenn ich etwas zu dir sage! Hast du sie gefragt, was sie vorhat?«
Kit stellte beide Beine auf den Boden und tastete besorgt nach ihrer Haube. »Ja, ich habe sie gefragt.«
»Na, und?«
»Die Antwort war äußerst befriedigend. Sie konzentriere sich, sagte sie, und ging weiter auf und ab, die Hände auf dem Rücken gefaltet.«
»Hm.« Susy warf einen Blick in den Spiegel und genoß den freudigen Schreck, sich in grauer Tracht zu sehen. »Wenn sie das tut, hat sie etwas vor. Ich glaube, uns bleibt nichts weiter übrig, als abzuwarten.«
Kit stand auf und griff nach ihrer Schürze, die ordentlich zusammengefaltet auf der Kommode lag.
»Was ich an dir besonders liebe, ist, daß du nicht neugierig bist«, sagte sie liebenswürdig. »Du willst nur alles wissen.«
Susy lachte. »Komm, wir müssen zum Dienst. Hier ist dein Cape.«
Im Korridor war es warm. Aber hin und wieder kam ein kalter Luftzug aus den Stuben der Nachtschwestern, die bei offenen Fenstern schliefen. Susy zog das kurze graue Wollcape fester um ihre Schultern.
»Brr! Warum lassen wir uns eigentlich nicht im Süden ausbilden? Wollen wir außen rum gehen oder unten durch?«
»Ach, lieber außen rum. Ein bißchen frische Luft wird dir guttun.«
»Du bist wirklich lieb, Kit. Immer denkst du an andere.«
Nun lachte Kit. Vor der Tür von Connies Zimmer blieben sie lauschend stehen. Sie hörten gleichmäßige Schritte und ein Murmeln. Einmal ertönte deutlich ein
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