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Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben

Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben

Titel: Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen D. Boylston
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das von den Schultern ausging, war offenbar mit langen schwarzen Seidenstrümpfen bekleidet und endete in schwarzen Fausthandschuhen.
    Die Ähnlichkeit des Wesens mit einer Küchenschabe war unverkennbar. Das Publikum lachte anfangs belustigt, dann jedoch ein wenig unsicher, denn das Tier hatte eine Art Würde an sich und sah seltsam nachdenklich aus. Die großen runden Augen über der Rüsselnase waren beschwörend auf die Zuschauer gerichtet. Die Kopffühler tasteten hilflos umher, und die obersten Arme - oder Beine - bewegten sich ungeschickt, eckig und sinnlos.
    »Herrje!« flüsterte jemand. »Es will etwas sagen.«
    Das Ding räusperte sich, winkte mit den Armen und begann ein wenig zögernd mit tiefer Stimme zu sprechen.
    »Ja, ihr lacht über mich. Ihr verachtet mich und die lange Reihe meiner Vorfahren, die in Erniedrigung und Demütigung unter euch gelebt haben. Ihr haltet uns für ekelhafte Geschöpfe, die nur Hunger und Furcht kennen und nichts als Vernichtung verdienen.«
    Die schwarzen Fausthandschuhe schlugen mit einer verzweifelten Gebärde zusammen, als ränge das Tier die Hände. Die runden Augen schienen noch größer zu werden.
    »Verachtet uns nicht!« fuhr das Wesen eindringlich fort. »Das Krankenhaus verachtet uns auch nicht. Es gönnt uns unseren Platz. Wenn wir nachts aus dem Schutz dieser alten Mauern zum Vorschein kommen, wenn die kleinen Nachtwinde durch die Korridore wispern und wir im Mondlicht auf dem Fußboden spielen, dann spricht das Krankenhaus zu uns. Seine Mauern unterhalten sich flüsternd mit uns, wenn wir mit kleinen lautlosen Füßen über sie dahinhuschen.«
    Die Küchenschabe beugte sich ein wenig nach vorn. Ihre Stimme wurde immer zwingender.
    »Uns, den niedrigsten Geschöpfen, werden die Geschehnisse vergangener Jahrzehnte kund, die sich zwischen den Wänden von roten Ziegeln und grauem Granit abgespielt haben. Wir hören die Stimme der Tradition durch die alten Korridore hallen, eine begleitende Melodie zu dem langsamen Wandern der Sterne über der großen Kuppel. Die kleinen Nachtwinde, die schon alt waren, als dieses Krankenhaus noch neu war, erzählen uns von den Anfängen des Kampfes gegen den Schmerz. Sie haben die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft unter diesem Dach miterlebt.«
    Die tiefe Stimme nahm einen singenden Ton an, während sie fortfuhr:
    »Das silberne Mondlicht, das in dem großen Kuppelsaal über die blauen Wände huscht, spricht flüsternd mit uns. Es erzählt uns von den Kämpfen, den Niederlagen und Triumphen, die längst auf den Kehrichthaufen der Vergessenheit geraten sind. Dieses alles - das
    Mondlicht, die kleinen Nachtwinde, die Mauern - haben zugeschaut, wie ihr eure geringen Kräfte in diesem Kampf einsetztet, wie ihr eure Jugend willig für die Ehre hergabt, dabei zu sein.«
    Die plumpe Figur richtete sich höher auf. In der großen Halle herrschte Totenstille. Die Zuschauer wurden unter dem Zwang dieser bewegten Stimme zu einem einzigen Ganzen.
    »Selbst eure kleinste Anstrengung wird hier nicht vergessen. Diese Mauern haben ein gutes Gedächtnis. Sie werden von eurer Jugend, von der Stärke eures Willens und von euren Idealen gestützt. Das silberne Mondlicht weiß das und wacht über euch. Die kleinen Nachtwinde wissen ebenfalls davon und streifen euch mit einem kühlenden Hauch. Auch wir wissen es. Verachtet uns also nicht. Wir gehören zu dem Ganzen - ebenso wie ihr.« Die Küchenschabe verbeugte sich ungeschickt. »Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!« Das Licht erlosch, und der Raum lag wieder im Dunkeln.
    Einen Augenblick herrschte ergriffenes Schweigen. Dann hallte der große Saal von tosendem Beifall wider. Es wurde hell. Die Seifenkiste neben der Treppe war jetzt leer. Der Beifall verstärkte sich noch. Schließlich kehrte die Küchenschabe zurück, diesmal ohne Gasmaske, und kletterte wieder auf die Kiste. Sie hatte jetzt das Gesicht von Dr. Wilhelm Barry. Er hob seine mit einem schwarzen Fausthandschuh bekleidete Rechte und gebot Schweigen.
    »Meine Damen und Herren!« sagte er, nachdem Stille eingetreten war. »Ich wiederhole meinen Dank und möchte noch eine Mitteilung daran anschließen. Die Hausärzte haben den Wunsch, sich öffentlich bei Schwester Halliday zu bedanken, denn sie hat die Rede der Küchenschabe verfaßt. Sie bat uns zwar, ihren Namen nicht zu erwähnen, aber wir haben nichts versprochen, und wir fühlen ...«
    Das Weitere ging in einem gewaltigen Aufruhr unter.
    Susy wirbelte zu Connie herum, die

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