Susanne Barden - 03 in New York
Hallo! Bist du noch da?«
»Ja.«
»Was ist denn los? Du sprichst ja wie ein heiserer Frosch.«
»Ach, Georg ...«, begann Kit kläglich. Doch als Susy ihr einen Rippenstoß versetzte, sagte sie rasch so munter wie möglich: »Nichts ist los. Schick den Brief bitte her. Ich weiß nicht, wann ich wieder zu euch kommen kann.«
Nachdem Kit angehängt hatte, wandte sie sich zu Susy um. »Warum sollte ich es ihm nicht erzählen? Die Sache geht mir allmählich auf die Nerven.«
»Schsch! Ich sag es dir oben.«
Als sie sicher im Bett lagen, erklärte Susy: »Zuerst war ich auch dafür, daß wir ihm alles erzählen. Aber - Kit - wenn wirklich irgend etwas oder irgend jemand im Hause ist .«
»Wenn?« Kit richtete sich mit einem Ruck auf und sah zu Susys Bett hinüber. »Woher kam denn wohl das Getöse auf dem Flur? Hat unser Haus vielleicht geschnarcht? Oder haben wir im Badezimmer einen Alptraum gehabt?«
»Nein, nein. Aber - diese Dinge geschehen hier doch seit Monaten. Andere Mieter haben sie schon vor uns erlebt. Trotzdem wurde niemand überfallen; nichts ist gestohlen worden. Wenn das Gespenst etwas anderes bezweckte, als die Leute zu erschrecken, dann hätten wir das längst gemerkt. Deshalb wollte ich nicht, daß du am Telefon von ihm sprachst. Es soll denken, daß uns sein Treiben überhaupt nicht stört. Dann wird es sich vielleicht eines Tages selber verraten.«
»Hm.«
»Übrigens glaube ich gar nicht, daß es ein Gespenst ist. Es gibt keine Gespenster. Jemand will uns aus dem Haus verjagen, das ist alles.«
»Du magst recht haben«, erwiderte Kit zögernd. »Und Georg hätte einen schönen Schreck bekommen. Aber das Schreien hatte mich ganz weich gemacht.«
»Mich auch - wenigstens vorübergehend. Aber das will dieser Jemand ja gerade. Laß uns noch ein wenig abwarten. Wenn wir uns an die Sache gewöhnen und nicht mehr solche Angst haben, könnten wir untersuchen, woher der Spuk kommt.«
Während der folgenden Wochen hatten die Mädchen genug Gelegenheit, sich an das unheimliche Schreien und die geisterhaften Schritte zu gewöhnen. Vier Nächte hintereinander geschah das gleiche, und, wie Susy gehofft hatte, nahm ihre Furcht allmählich ab.
Das Schreien ertönte jedesmal auf dem Flur, und bald darauf folgten regelmäßig die Schritte auf der Treppe. In der dritten Nacht nahm Susy allen Mut zusammen und schlich beim Beginn des wischenden Geräusches die halbe Treppe hinunter. Der Schrei folgte wie gewöhnlich, aber die Schritte blieben aus.
»Jetzt haben wir ein Indiz«, sagte sie nachher flüsternd zu Kit.
»Wieso?«
»Wenn einer von uns auf der Treppe steht, kommen die Schritte nicht herauf. Daraus müßten sich früher oder später Schlüsse ziehen lassen.«
»Zieh du deine Schlüsse! Ich schlafe heute nacht unter der Hochbahn. Lieber höre ich alle drei Minuten einen Zug über mir donnern als dieses Gespenstergeheul.«
Susy lachte. Der Spuk war ihr beinahe gleichgültig geworden, obwohl sie zugeben mußte, daß er die Nächte recht unruhig machte. Beide Mädchen wurden blaß und hohläugig, weil ihnen der Schlaf fehlte, und auch ihre Arbeit begann darunter zu leiden.
Morgens taumelten sie unausgeschlafen und mit schweren Gliedern aus dem Bett, tranken hastig ein paar Schlucke heißen Kaffee und wankten durch die mit Glatteis überzogenen Straßen zur Untergrundbahn. In der muffigen Wärme des Zuges, der donnernd durch die Dunkelheit raste, wurden sie langsam wach, unterhielten sich über das lästige Gespenst oder starrten dösend auf die Lichter, die neben dem Zug aufblitzten.
Wenn sie dann im Büro ihre Berichte schrieben, spielte ihnen ihr übermüdeter Geist böse Streiche. Sie machten Fehler, berichtigten sie mühsam und warfen sich über den langen Tisch hinüber verstimmte Blicke zu.
Aber sobald sie erst wieder draußen auf der Straße standen, die Besuchsliste in der Tasche und den scharfen Wind im Gesicht, war alle Müdigkeit wie fortgeblasen, und sie stürzten sich mit jugendlichem Schwung in ihre Arbeit.
Den ganzen Vormittag über wanderte Susy, die schwere Tasche über dem Arm, durch die von Menschen wimmelnden lauten Straßen. Sie erklomm zugige Treppen und klopfte an zahllose abgenutzte Türen. Die Schwesterntracht und ein freundliches Gesicht verschafften ihr sogleich überall Zutritt. Sie machte Betten; sie lernte, wie man ein Laken feststeckt, so daß es eine Woche lang glatt bleibt, und daß eine Lage Zeitungspapier zwischen zwei Decken ebenso warm wie eine Steppdecke
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