Susanne Barden 04 - Weite Wege
vorbeikommender Farmer in seinem Wagen mit. Sie fuhren auf der anderen Straße um den Teich herum, und er setzte sie neben Susys Wagen ab. Maxi begrüßte die Mädchen außer sich vor Freude, ohne es ihnen nachzutragen, daß sie ihn so lange allein gelassen hatten.
Marianna sank zufrieden aufseufzend auf ihren Sitz. »So viel Spaß hab ich nicht gehabt, seitdem ich von New York fort bin. Aber was für ein Leben so ‘ne Krankenschwester führt! Das wär nichts für mich. Wegen einer alten Kuh wärst du beinah ertrunken.«
Susy überhörte die Bemerkung. »Du hast dich gut gehalten, Marianna.«
»Na, du warst auch nicht übel.«
Abends besprach Susy das Erlebnis mit Anne. »Marianna war ganz begeistert, aber von Krankenpflege will sie immer noch nichts wissen.«
Anne nickte. »Ich werd’ dir mal was sagen, Susy. Es macht keinen Eindruck auf sie, was du tagtäglich für die Leute tust, weil es nicht in die Augen springt. Sie braucht etwas Greifbares - aufregende Ereignisse - spannende Erlebnisse.«
»Mein Gott, Anne! Ich kann doch nicht jemand mit der Axt über den Kopf hauen oder überfahren, nur um Marianna zu zeigen, daß Krankenpflege sehr interessant sein kann.«
»Ja, es ist nicht so einfach, ihr die Augen zu öffnen. Sie sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das kommt wohl daher, daß sie noch jung ist. Und sie hat es doch als Kind nicht leicht gehabt.« Annes Schaukelstuhl knarrte. »Weißt du, es ist nicht immer schön, jung zu sein. Ich kann mich noch erinnern, wie es bei mir war. Es ist, als ob man langsam aus einem Traum erwacht. Nur was man berühren kann, erscheint wirklich. Es ist nicht Selbstsucht, wie viele denken - jedenfalls nicht in dem Sinn, in dem die Erwachsenen es meinen. Der junge Mensch kommt nur nicht mit seiner Umwelt zurecht.«
»Ja, das stimmt. Ich kann mich auch erinnern, wie es war. Alle Menschen erwarten von dir, daß du Wurzel faßt, aber es will dir beim besten Willen nicht gelingen, und das macht unsicher. Man bildet sich schließlich ein, nichts zu taugen, fühlt aber im Innern, daß das nicht stimmt. Aus dieser Unsicherheit heraus wird man trotzig und zieht sich in sich selbst zurück. Nur wenn etwas Aufregendes geschieht, erwacht man plötzlich und fühlt für einen Augenblick, daß man dazugehört. Ich muß mehr Geduld mit Marianna haben.«
»Du behandelst sie schon richtig, Susy. Bloß - wenn du ihr mal was Sinnfälliges zeigen könntest - das würde mehr wirken als die schönsten Reden.«
»Ich will es versuchen«, versprach Susy.
Vorläufig konnte sie Marianna jedoch nichts Sinnfälliges bieten. Während des ganzen Juli gab es außer ein paar Gewittern nur die tägliche, sich stets gleichbleibende Arbeit. Bill bekam eine Menge Patienten aus Zeltlagern und Hotels dazu und hatte bald eine lebhafte und einbringliche, wenn auch etwas eintönige Praxis. Gleichzeitig mit den Sommergästen kamen einige Ärzte nach Springdale, die jedoch, wie Bill klagte, im Herbst wieder verschwinden und ihn mit Arbeit für zehn zurücklassen würden. »Das hat aber auch sein Gutes«, sagte er zu Susy. »Wenn meine Praxis sich so weiterentwickelt, können wir bald heiraten.«
Eines Tages begegnete Susy auf der Hauptstraße Elias Todd. Er blieb stehen und wechselte ein paar Worte mit ihr. Sein Ton war bedeutend herzlicher als bei ihrem ersten Zusammentreffen, und er schien sehr zufrieden mit Maxis Aussehen zu sein. Das Blut stieg ihm in den Kopf, als er sich zu dem kleinen Dackel hinunterbeugte, um ihn zu streicheln. Lot Phinney, der vor dem Postamt saß, schnaufte verächtlich. Sein Urteil über Maxi hatte er schon früher abgegeben. »Der sieht ja wie ‘ne Schlange aus. So’n Biest möcht ich nicht in meinem Haus haben.«
Marianna war sofort in Wut geraten. »Der alte Dummkopf!« schimpfte sie. »Schlange!« Susy aber hatte nur gelacht.
Marianna begleitete Susy weiter getreulich auf ihren Fahrten. Tag für Tag standen die beiden Mädchen früh auf, holten von Bill die Besuchsliste ab und fuhren dann von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf.
»Was für ein Quatsch!« knurrte Marianna manchmal. »Den Leuten immerfort dasselbe zu erzählen! Hier iß dies, und hier trink das, und paß auf, daß Bübchen sein Schwesterchen nicht mit dem Brotmesser sticht.«
»Jede Arbeit hat ihre langweiligen Seiten«, wandte Susy ein, obwohl sie wußte, daß es nutzlos war.
Die schönen Augusttage vergingen. Und als das einzige aufregende Ereignis geschah, das Mariannas Sinn vielleicht geändert hätte,
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