Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
weißt ja, wie dieses Jahr für ihn gelaufen ist. Immer hockt er nur zu Hause rum und wird von Tag zu Tag lethargischer und depressiver. Fehlt nur noch, dass er sich an die Brust schlägt und heult ›warum ich?‹. Und die Vorstellung, zur Abwechslung mal was Konstruktives zu unternehmen, ist anscheinend zu viel für ihn. Dann könnte er ja nicht mehr so lange vor dem Computer sitzen und darüber nachgrübeln, wie schlecht ihn das Leben behandelt und wie ungerecht es doch ist, dass an Silvester nicht der Himmel einstürzte oder so was. Ich weiß mir jedenfalls keinen Rat mehr. Probiert hab ich alles, damit er mal seinen Arsch liftet.«
»Aber er ist doch zumindest bereit, es wenigstens zu versuchen, oder? Ich meine, selbst zur künstlichen Befruchtung gehören zwei. Du kannst das nicht allein durchziehen«, gab Carmen zu bedenken.
»Na ja, nicht direkt bereit «, erwiderte Daisy und kratzte
akribisch die letzten Eisreste in ihrer Schale zusammen. »Wenigstens im Moment nicht. Er findet, wir sollten warten, bis seine berufliche Situation geklärt ist. Aber ich bin mir sicher, dass ich ihn rumkriege. Es wird Zeit, endlich mal was Positives zu unternehmen, anstatt immer nur rumzuhocken, als Opfer unserer störrischen Körper. Wir müssen eben einfach ein paar partnerschaftliche Gespräche führen, darin sind wir ja schließlich geübt.« Sie verdrehte die Augen.
Doris rührte unschlüssig in ihrem Espresso.
»Und an dieser Stelle sollte ich dann wohl sagen, ›Gott sei Dank, dass ich allein lebe‹«, meinte sie gedehnt. »Da kann man wenigstens seine eigenen Entscheidungen treffen, ohne auf irgendwen Rücksicht nehmen zu müssen. Mich stört weder, ob sich der Partner nun oft genug wäscht oder nicht, was für blöde Sendungen er sich im Fernsehen ansieht, all die öden Geschichten über seine Arbeit und so weiter. Nie langwierige Verhandlungen! Ihr beide versucht es am besten mal mit besagter Methode.«
Daisy lachte. »Na, jedenfalls bilden Carmen und John eine Ausnahme. Die halten zusammen wie Pech und Schwefel. Das einzige perfekte Ehepaar, das ich kenne. Muss wohl damit zusammenhängen, dass ihr euch schon so früh kennen gelernt habt, praktisch miteinander aufgewachsen seid. Ich glaube nicht, dass Tom und ich je ein so natürliches, ungezwungenes Verhältnis entwickeln könnten, nicht mal, wenn wir zwanzig Kinder bekämen. Er ist ein wundervoller Mann, aber manchmal treibt er mich in den Wahnsinn. Ganz besonders dieses Jahr.«
Sie beugte sich zu Carmen und Doris über den Tisch. »Ich glaube, unsere Ehe steckt in einer ernsthaften Krise«, gestand sie. »Genau das bedeutet der Verlust des Verlobungsringes. Freilich sage ich nicht, das mit dem Klo war Absicht – aber es könnte symbolisch sein. Ich meine, wie lange wird das noch so weitergehen? Tom ist ständig mürrisch, ich
gereizt. Wir sind wie zwei gelangweilte Menschen, die in einer Warteschlange stehen und auf den Bus warten. Wisst ihr, irgendwie denke ich, wozu überhaupt eine dauerhafte Beziehung, wenn man keine Kinder hat? Jedenfalls, wenn das einer der Gründe war, überhaupt zu heiraten.«
Erleichtert lehnte sie sich zurück; endlich war es heraus. Wie wenn man die Zunge in ein Geschwür im Mund bohrt, dachte sie, es schmerzt, aber tut auch unheimlich gut.
»Ich fasse es nicht! Wie kannst du nur so was sagen! Du und Tom, ihr wart doch immer so gute Kumpel!« Das kam von Doris, von der Daisy eigentlich Applaus erwartet hätte, sowie die Empfehlung, die Fesseln schleunigst abzustreifen und das Leben endlich in vollen Zügen zu genießen. »Außerdem überlegst du doch, ob du es nicht mit künstlicher Befruchtung versuchen sollst und gleichzeitig behauptest du, eure Ehe sei im Arsch? Siehst du da nicht auch einen klitzekleinen Widerspruch?«
Unbehaglich räkelte Carmen sich.
»Jetzt lass sie doch mal, Doris«, beschwichtigte sie. »Daisy wünscht sich jetzt schon seit drei Jahren sehnlichst ein Kind, und es hat nicht geklappt. Und sie hat das Gefühl, dass ihre Ehe mehr und mehr ins Wanken gerät. Ist doch ganz normal, dass sie sich alles Mögliche überlegt, auch den Absprung. Das Leben ist nicht starr, es fließt und verändert sich.«
Und das von Carmen, von der Daisy erwartet hätte, dass sie sie schneller zur Eheberatung verfrachten würde, als man ›Bund fürs Leben‹ sagen konnte. Daisys Blick wanderte zwischen ihren Freundinnen hin und her. Sie hatte das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen schwanke auf einmal wie Wasser.
Doris
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