Svantevit - historischer Roman (German Edition)
das ganze Ufer verteilt. Einige Kinder gingen langsam und nahmen alles in die Hand, was herumlag. Andere eilten schnellen Schrittes, aber mit hochkonzentriertem Blick voran.
Die Rufe erfolgreicher Bernsteinsucher häuften sich und lösten anfangs stets großes Interesse aus, wurden bald aber kaum noch beachtet. Jeder tauchte in seine eigene Welt hinab, gebannt auf den Uferboden starrend. Wer noch nichts gefunden hatte, wurde durch die lautstarken begeisterten Mitteilungen derjenigen, denen ein Fund gelungen war, immer nervöser und versuchte sich noch mehr bei der Suche zu konzentrieren, obwohl dies gar nicht möglich war.
Rusawa hatte auch bereits dreimal die Entdeckung eines Bernsteines verkündet, wobei sich jedes Mal herausstellte, dass es sich um einen normalen Stein handelte. Da dieser aber so schön farbig war oder glänzte, war sie keineswegs betrübt, sondern steckte ihn befriedigt ein. Zu Hause hatte sie noch ein ganzes Säckchen voll Steinen und auch recht ordentlichen Bernsteinen, die sie in den letzten Jahren gefunden hatte. Sie brachte es nicht übers Herz, diese beim Heringsmarkt feil zu bieten. Im letzten Jahr hatte Radik sie überredet, dem Kunstschmied wenigstens einmal probeweise ein besonders schönes Exemplar anzubieten, um zu sehen, was dafür zu bekommen sein würde. Ihr wurde ein gemusterter eiserner Armreif angeboten und, als der Handwerker ihr Zögern bemerkte, obendrein eine Halskette mit kleinen Kupferperlen. Rusawa war von dem Schmuck recht angetan, lehnte das Geschäft aber ab. Als sie am nächsten Morgen erwachte, hatte sie den Reif am Arm und die Kette um den Hals und Radik war um einige Bernsteine ärmer.
Heute schien Radik kein Glück zu haben. Es war überhaupt nichts Interessantes zu entdecken. Inzwischen würde er sich sogar über einen besonders geformten oder gefärbten Stein freuen. Von weitem ertönte wieder ein Jubelschrei, den Radik aber nicht beachtete, ja gar nicht mehr wahrnahm.
Da türmte sich vor ihm ein Berg von Seegras auf, durchmischt mit großen Holzstücken. Radik blickte hoch und sah, dass da ein wahres Meer von diesem nassen, schleimigen, grün und braunem Zeug lag. Es war wohl besser, umzukehren und es woanders zu versuchen, aber dort hinten war ja doch schon alles abgesucht. Er würde sehr weit zurücklaufen müssen. Radik sah sich unschlüssig um und stieß schließlich mit dem Fuß in den Seegrashaufen, als könne er dadurch diesen Berg beiseiteschaffen. Das Treten in diese faserige noch feuchte Masse machte sogar Spaß und war gut, um die Enttäuschung von der erfolglosen Suche abzureagieren. Nasse Fetzen flogen durch die Luft und mit jedem Tritt versuchte Radik, diese weiter und höher zu schleudern. Und dann schien ihm tatsächlich eine großartige Leistung zu gelingen, als ein Teil aus wehenden Grasstreifen im hohen Bogen über den Strand segelte. Aber halt; das konnte doch unmöglich nur Seegras gewesen sein.
Radik lief hinterher und hob das Ding auf. Um etwas Hartes hatten sich Teile der Meerespflanze gelegt, die Radik vorsichtig mit den Fingern wegnahm. Darunter kam ein Bernstein zum Vorschein, der alles übertraf, was er bisher gesehen hatte. Der klare glatte hellbraune Stein hatte die Form von zwei zusammengefügten Tropfen und war so groß, dass er die ganze Handfläche ausfüllte. Zwei gleichförmige Rundungen liefen in eine gemeinsame Spitze zu. Radik hielt den Bernstein gegen das Licht. Es war keinerlei Makel zu erkennen.
"Radik! Hast du schon etwas gefunden?"
Aus einiger Entfernung hörte er Zasara rufen. Da fiel ihm ganz plötzlich ein, dass der Stein die Form eines Herzens hatte und er hatte eine Idee. Schnell verschwand der Bernstein in seiner Tasche.
"Nein, heute habe ich wohl kein Glück bei der Suche. Aber wir können es ja mal gemeinsam versuchen. Die Stelle hier ist vielleicht gar nicht schlecht."
"Im Seegras?"
"Ja, gerade dort. Die Fasern wirken doch wie ein Netz. Alles, was im Weg ist, wird mitgezogen, fast wie beim Fischfang."
Und tatsächlich wurden die beiden bald fündig. Radik übernahm es, in den tieferen Haufen zu wühlen, während Zasara die kleineren Ansammlungen von Seegras durchstöberte.
Schließlich war nur noch ein kleiner Berg übrig, den beide zusammen durchsuchten. Sie steckten ihre Köpfe dicht zusammen. Als Radik einer von Zasaras Zöpfen durch das Gesicht streifte und ihn an der Nase kitzelte, begann er leise zu kichern. Dies bemerkte Zasara und gab sich daraufhin heimlich Mühe, dies noch ein paar Mal
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