Svantevit - historischer Roman (German Edition)
gestalterische Phantasie. So gelang es ihm, komplizierte Vorgänge, die sich Womar oft mit großer Akribie ausgedacht hatte, in wenigen Worten oder Sätzen schriftlich festzuhalten. Hierbei kam ihm besonders zu Gute, dass er in der Lage war, sich in den Leser der Zeilen hineinzuversetzen, ja es war sogar nach seinem Verständnis die einzig gültige Bewertungsmöglichkeit für die Güte eines Textes. Oft war er mit sich selbst noch unzufrieden, wenn Womar schon wieder einmal voll des Lobes war, und knobelte so lange weiter, bis er durch das Verändern eines Wortes oder eine Umstellung im Satzbau eine noch verständlichere Variante des Textes hinbekam.
Nach einiger Zeit war Womar nicht bange, am Ende eines jeden Übungstages, die oft am späten Nachmittag begannen und bis zum Abend dauerten, mit Radik einige Wörter in deutscher Sprache zu üben. Er hatte anfangs überlegt, ob es nicht sinnvoller sei, dem Jungen zunächst die Grundlagen des Lateins beizubringen, gleichsam als Basis zum Erlernen von fremden Sprachen. Aber schließlich meinte er, dass Radik durch Erfolgserlebnisse bei den nicht immer leichten Lektionen ermutigt werden könnte, wenn er sich mit deutschen Kaufleuten würde verständigen können und so wäre auch der praktische Nutzen dieser Sprache ein größerer.
Radik hätte lieber dänisch gelernt, da er die Nachbarn im Norden als den Ranen ähnlicher empfand – ein Seefahrervolk wie sie, wenn auch ihre Feinde, was aber nicht Verachtung bedeutete. Doch Womar gab zu, dass seine Kenntnisse der dänischen Sprache selbst nur sehr dürftig waren. Als Radik nach der Sprache der Araber fragte, winkte Womar lachend ab.
"Solltest Du jemals die Sprache dieser Menschen beherrschen oder gar deren Schrift, so will ich meinerseits dein gelehriger Schüler sein."
Dies weckte Radiks Interesse umso mehr.
Mit dem Erlernen der fremden Sprache schien sich Radik dann doch schwerer zu tun, zumindest, wenn man das Tempo bedachte, mit dem er sich zuvor das Schreiben in lateinischen Buchstaben zu Eigen gemacht hatte. Ihm lag es aber nicht so sehr, sich die deutschen Begriffe für Dinge einzuprägen, die die Ranen ganz anders nannten. Hier konnte ihm auch keine Regel, kein Gesetz der Logik helfen, sondern nur das durch ständiges stupides Wiederholen von Erfolg gekrönte Auswendiglernen der deutschen Worte.
Als es an das Beherrschen der Grammatik ging, kehrte Radik zu seinem gewohnten Lerntempo zurück. Nun ist es nicht einfach, einem Ranenjungen, der unter Ranen lebt und ständig nur in seiner Muttersprache redet, die Sprache eines anderen Volkes so beizubringen, dass die Kenntnisse nicht nur oberflächlich bleiben, sondern ständig gefestigt und vertieft werden, ohne hierbei beim Lernenden Langeweile aufkommen zulassen. Und deshalb begann Womar, mit Radik deutsch zu sprechen, von der Begrüßung in seiner Hütte bis zur Verabschiedung. Dies wiederum bedeutete für Radik eine große Herausforderung, da er es nicht leiden konnte, wenn er etwas nicht verstand und es bald als Niederlage empfand, wenn er gegenüber Womar ins Ranische ausweichen musste. Was Radik nicht direkt in Deutsch ausdrücken konnte, umschrieb er und wenn er Womar nicht verstand, fragte er in deutscher Sprache nach und ließ es sich erklären. Sein Ehrgeiz peitschte seine Fähigkeiten und Fertigkeiten schnell auf ein hohes Niveau und bald war es kein Problem, die alltägliche Kommunikation, wie selbstverständlich, in Deutsch zuführen.
Radik hatte bald nach Einbruch des Winters und dem Ende der Fischfangsaison von seinen Eltern die Erlaubnis erhalten, Womar regelmäßig zu besuchen, der von Vitt aus mit einem Pferd in kurzer Zeit zu erreichen war. Nach langem Drängen hatte sich Ugov bereit erklärt, ihm ein Pferd für den Weg zur Verfügung zu stellen, nicht ohne zuvor allerhand Mahnungen und Warnungen ausgesprochen zu haben. Doch nachdem Radik seinen unerschütterlichen Willen zum Ausdruck gebracht hatte, andernfalls zu Fuß aufzubrechen, konnte Ugov gar nicht anders, insbesondere nachdem Radiks Mutter ihren Bruder hierin bestärkt hatte. Die Erlaubnis wurde natürlich an allerhand Bedingungen geknüpft, insbesondere, was den Umgang mit dem Pferd betraf, für dessen Pflege Radik von nun ab zu sorgen hatte.
Auch Radiks Vater, der sonst alles misstrauisch beäugte, was seinen Sohn auf den Gedanken bringen konnte, später nicht, wie er, mit Fischfang die Familie zu versorgen, hatte nichts gegen die Besuche beim Alten einzuwenden, zumal hin und
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