Svantevit - historischer Roman (German Edition)
Immerhin war er Krieger, sogar Anführer der Tempelgarde. Aber als er in das Gesicht seiner Tochter guckte, die ihn freundlich anlächelte, beschlich ihn ein großes Unbehagen wegen der Dinge, die da kommen würden. Er hatte Angst um sie.
Radmar stand am Hafen, inmitten des großen Trubels, und schaute auf die schier endlose Reihe von Schiffen. Christian hatte ihn ermahnt, sich nicht zu entfernen, da er in diesen Menschenmengen verloren gehen könnte. Aber dieser Rat war überflüssig, da Radmar ohnehin kaum von Christians Seite wich. Dennoch ruhte dessen Hand jetzt beschützend auf seiner Schulter.
Gerade wurden Pferde auf ein Schiff verladen. Viele Tiere ließen dies ruhig über sich ergehen, scheuten nicht vor dem schmalen Brett, welches an Bord führte und nahmen auch die zunehmende Enge auf den schwankenden Planken stoisch hin. Doch hin und wieder veranstaltete ein Gaul ein wahres Spektakel, zerrte wild am Strick und schlug aus, sobald er nur in die Nähe des Wassers kam. Schnell sprangen die Leute beiseite, um nicht verletzt zu werden. Der Mann, welcher den Strick hielt, versuchte es kurz mit beruhigenden Worten, was gelegentlich half. Wegen der Gefahr, dass die Unruhe sich auf die anderen Tiere übertragen könnte, ließen sich die Männer nicht auf ein langes Hin und Her ein. Mit Seilen und Brettern drängten sie das störrische Pferd an Bord, wo ihm die Fesseln gebunden wurden. Inmitten seiner Artgenossen beruhigte es sich dann wieder.
"Nimmst du deine Pferde auch mit?", wollte Radmar wissen.
"Ja. Aber ich mag noch gar nicht daran denken. Unsere Tiere sind das Bootfahren ja nicht gewohnt. Genauso wenig wie ich. Scheint mir doch eine recht wackelige Angelegenheit zu sein."
"Ich freu mich schon! Das wird bestimmt spannend!", jubelte Radmar.
"Am liebsten würde ich dich und deine Mutter ja hier lassen. Die Sache kann nämlich auch gefährlich werden!"
"Oh, nein! Bitte! Ich mach auch alles, was du sagst."
"Darauf werde ich ohnehin bestehen müssen", meinte Christian, "Aber deine Mutter scheint ja unbedingt dort hinüber zu wollen."
Er deutete mit dem Kopf auf den Horizont hinter dem Meer.
"Weißt du warum?"
Radmar zuckte mit den Schultern, aber ihn interessierte diese Frage auch nicht so sehr.
Am Abend klopfte es an der Hütte. Jemand schlug heftig mit der Faust gegen die Tür. Radik rechnete fest damit, dass es sich um den erwarteten Alarm handeln würde und war überrascht, seinen Bruder zu sehen.
"Womar geht es sehr schlecht! Er verlangt nach dir! Beeile dich!"
Mehr sagte Ivod nicht, bevor er sich hastig wieder auf sein Pferd schwang. Radik hetzte in den Stall, legte Kuro den Sattel über und eilte seinem Bruder hinterher.
In der Hütte brannten viele Lichter. Womar lag unter einem dicken Fell auf seiner Bank, während Watira ihm mit einem Tuch die Stirn wischte.
"Trotz des Felles friert er", flüsterte Ivod, "Er hat seit gestern nichts mehr gegessen und auch das Trinken fällt ihm schwer."
Radiks Blick verschwamm, seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, wodurch die Kerzen wie Sterne funkelten. Langsam kniete er sich neben die Bank und griff behutsam nach den Händen des Alten, die kalt und kraftlos waren.
"Du? Radik?"
Man merkte, wie er sich anstrengen musste, um verständlich zu sprechen. Noch schwerer fiel es ihm, nun den Kopf zu wenden.
"Du musst dich ausruhen", sagte Radik mit belegter Stimme.
"Ja. Bald."
Eine ganze Weile saß Radik einfach da. Er bemühte sich, sein Weinen zu unterdrücken, aber die Tränen liefen ihm unentwegt über das Gesicht.
"Könntest du ihn nicht dazu bringen, etwas zu essen?", flüsterte Ivod Radik ins Ohr.
Radik sah Womar an. Dessen Anspannung wich einer Zufriedenheit. Jetzt spürte er, dass die Hände des Alten die seinen fest hielten, mit einer Kraft, die er ihm nicht mehr zugetraut hatte. Radik schüttelte den Kopf und sein Bruder verstand.
"Ich habe nicht viel", sagte Womar nun und Radik wusste nicht, wie er diese Worte deuten sollte.
Der Alte zog langsam und mühevoll die Decke zurück. Auf seiner Brust erblickte Radik die Bibel.
"Es hindert dich beim Atmen", meinte Radik besorgt.
"Oh, nein. Dadurch wird alles leicht", erwiderte Womar und zog Radiks Hand zu dem Buch, "Nimm sie."
Radik griff nach der Bibel. Das Berühren des warmen Ledereinbandes erinnerte ihn daran, wie er dieses Buch das erste Mal in Händen gehalten hatte. Damals wusste er noch überhaupt nicht, was ein Buch ist und was all die merkwürdigen Zeichen darin
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