Svantevit - historischer Roman (German Edition)
Schweif hing nicht einfach hinab, sondern erhob sich würdevoll. Die kräftigen Flanken trieben das Tier mühelos vorwärts. Man konnte nur ahnen, zu welchen Leistungen es fähig war. Wenn der Herr der Peitsche diesem Tier jetzt die Knute geben würde, hätte ihn die Menge augenblicklich in Stücke gerissen, dachte Radik.
Der Priester rief etwas zu Dubislaw und dieser führte das Pferd daraufhin vor die Gasse mit den gekreuzten Lanzen. Dann schwang sich der Oberpriester auf den Rücken des Pferdes, durchaus gekonnt, wie Radik zugeben musste.
Ein weiterer Priester stellte sich auf Höhe des ersten Lanzenpaares und gab ein Zeichen. Nun begann das Pferd die Gasse zu durchqueren. Das Schicksal des geplanten Kriegszuges entschied sich jetzt an der Frage, mit welchem der Vorderläufe das Tier die Lanzen zuerst überquerte. Der Priester starrte auf die Vorderläufe des Tieres und war bemüht, mit diesem auf gleicher Höhe zu bleiben, was ihn ob der zunehmenden Geschwindigkeit des Pferdes am Schluss recht flott rennen ließ. Er beriet sich danach kurz mit Dubislaw, dem Anführer der Tempelgarde, der beim Ritt gleichfalls auf die entscheidenden Schritte geachtet hatte und anschließend mit dem Oberpriester. Dieser stieß wenig später den schon bekannten Freudenschrei aus. Die Menschenmenge stimmte wiederum jubelnd ein.
Dubislaw führte das weiße Pferd jetzt zurück zum Stall. Ihm folgten die Reiter mit den Lanzen, sowie die anderen Soldaten.
Nachdem sich der Oberpriester gleichfalls entfernt hatte, gerieten auch die Menschen wieder in Bewegung und strebten erneut dem Tor zu. Denn nachdem man Svantevit ordentlich geopfert hatte, wollten die Leute sich nun selbst auch etwas Speis und Trank genehmigen und diese Feierlichkeiten fanden vor der Burg statt.
Um ein erneutes Gedränge zu verhindern, hatten sich rechtzeitig zahlreiche Gardisten auf ihren Pferden postiert. Wie sich zeigte, war das aber völlig überflüssig, da die Menschen, die eben noch still und starr vor Bewunderung und Anspannung verharrt hatten, ohnehin nur langsam in Tritt kamen und jeder sich dabei vorzusehen schien, dem anderen nicht in den Weg zu treten oder gar zu drängen.
"Kein Grund zur Eile", meinte auch Radik und winkte Ferok in den hinteren Teil des Raumes, wo sich beide auf die Bank setzten, "Jetzt beginnt das große Fressen und Saufen. Ich würde mich ja lieber noch ein bisschen auf der Burg umsehen, aber leider werden die Soldaten wohl etwas dagegen haben."
"In der Burg wimmelt es immer von Soldaten, nicht nur heute", gab Ferok zu bedenken, "Aber wenn du hier mal deinen Onkel besuchst, wird keiner etwas dagegen sagen. Dann kann der dir doch alles zeigen."
Stimmt, dachte Radik. Noch dazu, wo sein Onkel Ugov in den Ställen arbeitete. Und zu den Ställen wollte er unbedingt.
"Hast du das weiße Pferd gesehen?" fragte Radik.
Ferok sah ihn etwas verdutzt an.
"Ja natürlich. Denkst du, ich habe geschlafen. Aber das weiße Pferd taucht doch immer auf, bevor unsere Soldaten hinausziehen."
"Nein!", sagte Radik, "Dieses Pferd muss ein anderes sein, es ist doch viel größer, kräftiger – schöner!"
Die beiden Jungen wurden aus ihren Gedanken gerissen, als sich auf dem Gang Schritte näherten. Jetzt konnten sie nichts anderes tun, als sich still zu verhalten. Die Schritte waren nicht sehr fest und schließlich tauchte vor der Tür ein Junge auf und blieb genau dort stehen. Er schaute eine ganze Weile auf den Burghof und sah dann plötzlich genau vor sich die Holzbrüstung hinunter, als hätte er etwas Interessantes entdeckt. Anschließend blickte er nach links und rechts, als suche er etwas, drehte sich um und betrat den Raum.
Er schien wegen der Dunkelheit zunächst nicht viel zu erkennen. Radik sah, dass der Junge etwa in seinem Alter war. Er hatte auffallend schwarzes Haar und dichte Augenbrauen. Radik hatte sogleich ein ungutes Gefühl.
"Was habt ihr hier zu suchen?", bellte der Junge, als er die beiden erblickte.
"Und was machst du hier?", fragte Radik verwundert zurück.
"Ich gehöre zur Tempelgarde!", brüllte der sofort in einem Ton, als würde er einen Befehl geben.
"Seit wann nehmen die denn kleine Kinder auf?", gab Radik ruhig zurück, den nicht der Junge, sondern vielmehr die Tatsache ängstigte, dass durch dessen laute Stimme die Soldaten aufmerksam werden könnten.
Doch kaum hatte Radik den Satz beendet, stürzte sich der Junge wie von Sinnen auf ihn. Er umklammerte mit dem linken Arm Radiks Hals, wobei er die Schulter
Weitere Kostenlose Bücher