Svantevit - historischer Roman (German Edition)
Holz bestand. Und während die anderen Ställe an den Seiten freie Zugänge enthielten, versperrte hier ein übermannshohes Tor den Eintritt. Beide Jungen sahen sich fragend an und da Radik ahnte, was sich dahinter befand und er dessen unbedingt ansichtig werden wollte, nickte er kurz.
Langsam schob Radik einen Flügel des Tores auf, während Ferok sich nach allen Seiten umblickte. Anschließend drückten sie sich durch den Spalt in das Innere des Gebäudes.
Da nur durch einige Aussparungen in den oberen Balken Licht einfiel und sich der kurze Spätherbsttag ohnehin seinem Ende näherte, war es in diesem kleinen Stall schon recht dämmrig. Und doch war nicht zu übersehen, für wen dieses Gebäude bestimmt war – in der Mitte des Raumes stand das weiße Pferd, dessen Körper sich deutlich abzeichnete. Radik und Ferok näherten sich vorsichtig. Es befand sich in einer Art Gatter, das aus vielen dicht neben einander eingeschlagenen Pfählen bestand und einen großen Kreis bildete. Das Pferd war mit einem langen Strick in der Mitte locker angebunden und konnte sich in der ganzen Umzäunung frei bewegen. Die beiden Jungen erregten sofort seine Aufmerksamkeit und es näherte sich zaghaft, aber ohne Scheu.
In kurzer Entfernung blieben Radik und Ferok stehen, um das Tier, vielmehr das Wesen, denn mit einem gewöhnlichen Tier war dieses Geschöpf nicht gleichzusetzen, in Ruhe beobachten zu können, ohne es zu verschrecken. Dieses schien sich aber seiner beeindruckenden Wirkung durchaus bewusst zu sein und streckte neugierig den Kopf vor.
Radik erinnerte sich an den Auftritt dieses Pferdes beim Erntefest. Damals war ihm bereits aufgefallen, dass es größer und kräftiger als die anderen Pferde war. Doch jetzt aus der Nähe konnte er nur sprachlos staunen über die Kraft dieses Wesens und seine dennoch elegante Erscheinung. Ihm fiel auch wieder ein, was ihm seine Mutter früher über das weiße Pferd erzählt hatte. Es sei selbst kein Gott, aber ein Vertrauter der Götter, der es auf sich genommen hatte, den Menschen Nachrichten und Botschaften der Götter zu überbringen.
Nachdem Radik und Ferok eine Weile still und stumm dagestanden hatten, wandte sich das Pferd von den beiden ab. Radik bewunderte erneut die kraftvolle Brust und die Flanken, wo sich unter dem weißen Fell deutlich die gewaltigen Muskeln abzeichneten.
Der Rücken des Pferdes erschien so hoch, dass es Radik fast unmöglich vorkam, dort ohne Hilfe hinauf zu gelangen. Er musste zugeben, dass der Herr der Peitsche, der dort oben immerhin gesessen hatte, als das Pferd die gekreuzten Lanzen durchschritt, ein recht mutiger Mann war. Und bei dem verlockenden Gedanken, selbst einmal dort Platz zu nehmen, gestand er sich ein, dass er erstmal das Reiten auf einem normalen Pferd lernen musste. Und das nahm er sich ganz fest vor, auch wenn er noch nicht genau wusste, wie er das anstellen sollte. Zwar arbeitete sein Onkel in den Ställen und hatte wohl auch eine Menge zu sagen, doch die Pferde waren wertvolle Tiere und nicht dazu bestimmt, von jedem, der eben mal Lust hatte, geritten zu werden. Aber es würde sich schon einmal die Gelegenheit bieten, wenn man nur hartnäckig blieb.
Inzwischen hatte die Dunkelheit zugenommen und außer dem weißen Pferdeleib war im Stall nichts mehr zu erkennen. Die Jungen schlichen in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren und wo sie das Tor vermuteten.
Draußen hatte man bereits Fackeln und Feuer entzündet. Der frühe Einbruch der Dunkelheit tat der in der Burg herrschenden Geschäftigkeit keinen Abbruch, zumal sich Sturm und Regen etwas beruhigt hatten und es von Osten her sogar etwas aufklarte.
Radik sah sich kurz um, ob er seinen Onkel irgendwo entdecken konnte. Aber dieser war nirgends zu sehen und so liefen die beiden Jungen zurück in ihr Dorf.
Der erste Schnee
So zeitig wie in diesem Jahr der Spätsommer vom Herbst verdrängt worden war, so früh setzte auch der Winter ein, der das Land sogleich mit grimmiger Kälte und ergiebigem Schneefall beherrschte und den Menschen eine Übergangszeit nicht gewähren wollte.
Über den Dächern der kleinen Häuser des Fischerdorfes Vitt nahe der Tempelburg Arkona standen kleine Rauchsäulen. Die Öfen brannten jetzt den ganzen Tag, um die Hütten nicht auskühlen zu lassen.
Was den Älteren ein Mehr an Arbeit verschaffte, bereitete den Kindern eine lang ersehnte Freude. Gerade die kleineren unter ihnen hatten den stürmischen Herbst hindurch nicht draußen
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