Sydney Bridge Upside Down
seinen Felsen. »Meinem Vater passt es garantiert nicht, wenn sie ihre Nase überall reinsteckt.«
Wieder versuchte ich ihn zu packen, wieder entwischte er mit einem Sprung. »Mama gibt ihr nur einen freundlichen Rat«, sagte er, »so machen Frauen das untereinander. Die dürfen das, es gehört dazu.«
Na ja, dachte ich, er hat Schwestern, ich habe keine, er wusste bestimmt, wovon er sprach, er hatte schließlich auch mehr nackte Mädchen gesehen als ich. Er kannte sich in diesen Dingen einfach besser aus. Aber ich holte auf, ich machte Fortschritte. Am besten sagte ich überhaupt nichts mehr, ich hatte genug Sorgen wegen Cal und Susan Prosser, die uns jederzeit verpetzen konnten.
Ich sah rüber zur Lichtung und stellte fest, dass Mrs Kelly näher an Caroline herangerückt war. Ja, sie redete ihr bestimmt gerade ins Gewissen. Hoffentlich macht sie Caroline nicht unglücklich, dachte ich.
Dibs war schon ein Stück weitergeklettert, er sah sich ein paarmal nach mir um.
Ich hatte keine Lust, ihn zu fangen. Ich hatte auch keine Lust mehr, auf den Felsen zu bleiben. Da Cal inzwischen näher am Ufer war und keine Gefahr bestand, selbst wenn er ins Wasser fiel, ging ich zum Strand zurück. Die Lichtung behielt ich im Blick. Ich war nah genug, um Caroline zur Hilfe zu eilen, falls sie aufspringen und winken würde. Vielleicht würde sie sogar nach mir rufen, dachte ich. Ich würde gleich zu ihr rennen und sie retten.
»Harry!«, rief Cal.
Ich sah mich um. Er winkte mit der einen Hand und zeigte mit der anderen auf einen Felsen, wo er offenbar etwas gefunden hatte, eine Schatzkiste voller Silbermünzen vielleicht.
Es war mir zu weit. Ich winkte zurück, zeigte auf die Dünen und ging los. Da oben kann ich sitzen und die Lichtung im Auge behalten, dachte ich, Cal und seinen Schatzkiste können mir gestohlen bleiben.
Jetzt rief er Dibs, und Dibs, das wusste ich, würde gleich kommen.
Als ich die Düne halb hochgelaufen war, blieb ich stehen und sah mich um. Auf der Lichtung war alles friedlich. Auch als ich oben ankam, war die Lage unverändert. Mrs Kelly und Caroline wirkten entspannt.
Ich setzte mich in den Sand, ließ den Blick über Fabrik und Strand schweifen – und entdeckte Susan Prosser. Sie saß in einer Kuhle auf der Rückseite der Düne, kaum zehn Meter von mir entfernt, und sah hinauf. Sie hatte ein pinkfarbenes Strandkleid an, drei Bücher lagen neben ihr im Sand.
Ich erschrak, am liebsten wäre ich gleich wieder hinter dem Dünenkamm abgetaucht. Aber sie hatte mich längst gesehen.
Grinsend ging ich zu ihr. »Lernst du schon wieder?«, fragte ich. »Du bist ganz schön eifrig – sogar am Samstag.«
»Nein, ich lerne eigentlich nicht«, sagte sie und betrachtete mich argwöhnisch, »ich habe mich ein wenig gesonnt.«
Ich hockte mich neben sie und verkniff mir die Bemerkung, dass ein Badeanzug zum Sonnen geeigneter wäre. Lieber mal freundlich sein, dachte ich und sagte: »Du hättest zu unserem Picknick kommen können, wir sind schon seit Stunden hier.«
»Von dem Picknick habe ich gewusst«, sagte sie, »Mrs Kelly hat mich eingeladen.«
»Dann hättest du kommen sollen, es war sehr lustig bisher.«
»Selbstverständlich«, sagte sie in einem Ton, der mir überhaupt nicht gefiel.
»Wie meinst du das?«, fragte ich.
»Ihr vergnügt euch ja immer ganz prächtig.«
»Sind ja auch Ferien.«
»Ist aber nicht deine Art, dass du dir die Vergnügungen für die Ferien aufsparst«, sagte sie.
»Ich find’s besser, als die ganze Zeit zu lernen und schlechte Laune zu haben«, sagte ich und spürte, dass mir jeden Augenblick der Kragen platzen könnte. Ich riss mich zusammen. »Warum bist du denn nun nicht zum Picknick gekommen?«
»Ich war halt beschäftigt«, sagte sie. Ihr Argwohn war einer Art Überheblichkeit gewichen, sie schien mir sagen zu wollen, dass sie besser war als ein Junge, der nur seinen Spaß im Kopf hatte.
»Und deine Abendspaziergänge, hast du das auch in deinen Büchern gelernt?«, fragte ich. Ich war selbst überrascht von der Frage, sie war mir rausgerutscht.
Sie starrte mich mit ihrem berüchtigten, fiesen Blick an und sagte erstaunlich gefasst: »Spionierst du mir etwa nach, Harry Baird?«
» Ich und spionieren?«, rief ich empört. »Also hör mal, ich bin nicht derjenige –« Im letzten Moment fing ich mich, wenn hier jemand spioniert, hätte ich beinahe gesagt, dann doch wohl du, womit ich allerdings verraten hätte, dass es etwas gab, das sich auszuspionieren
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