Symphonie der Herzen
die Dachsparren mit Hypotheken belastet, was wir seinem verstorbenen Bruder zu verdanken haben, der einen sehr verschwenderischen Lebensstil pflegte. Vater hat dieses Wissen zwar stets vor seiner Frau und seinen Kindern geheim gehalten, doch als Francis volljährig wurde, erhielt er von unseren Anwälten natürlich eine Aufstellung seines Vermögensstandes und war außer sich vor Wut. Seither lebt er in der ständigen Angst, irgendwann bloß Schulden und Verbindlichkeiten zu erben.«
In Abercorns Hinterkopf schrillten sofort sämtliche Alarmglocken. Dann hatte dieser Francis wohl recht: Wenn der Herzog von Bedford eines Tages starb, würde es für Georgina und ihre Kinder in der Tat »ein böses Erwachen« geben. Denn so, wie der Marquis von Tavistock sich angehört hatte, würde er es im Erbfall nicht bei der testamentarischen Regelung belassen, sondern er würde versuchen, Georgina und die Kinder zu enterben, um wenigstens noch einen Teil des Vermögens für sich zu beanspruchen. Von diesem Moment an hatte James nur noch ein Bestreben - er wollte Louisa vor der erschreckenden Habsucht ihres ältesten Bruders schützen.
Nachdenklich ließ er den Blick durch den Saal schweifen und entdeckte mit einem Mal seinen Bruder Claud, der sich offenbar blendend mit Charles Russell unterhielt. Langsam schlenderten James und Lord John zu den beiden hinüber. »Und? Hast du denn auch schon ein Tänzchen mit den beiden Debütantinnen gewagt?«, versuchte Abercorn, die Stimmung wieder ein wenig aufzulockern.
»Ich habe mit Georgy getanzt, ja. An Lady Louisa hingegen bin ich bisher noch nicht herangekommen. Die ist viel zu begehrt. Soweit ich weiß, stehen auf ihrer Tanzkarte vor mir noch eine ganze Reihe von anderen heiratswilligen Junggesellen. Ich werde mich also wohl noch ein Weilchen gedulden müssen.«
Charles schenkte James einen mitfühlenden Blick. Schließlich wusste er genau, wie dieser für Lu empfand. »Tut mir leid, alter Kumpel, das zu hören. Aber du kannst dich immerhin mit der Tatsache trösten, dass bisher keiner dieser Kandidaten ihr Herz gewinnen konnte.«
»Keiner außer mir«, erklärte James und zwinkerte einmal vielsagend. »Sie ist nur noch nicht so weit, es sich selbst einzugestehen.«
Anerkennend schlug Claud seinem Bruder auf die Schulter. »Du durchtriebener Kerl!«
»Wann fangen denn eigentlichen die schottischen Reels an?«, verlangte Charles zu wissen.
»Auf jeden Fall nicht vor Mitternacht. Der Alkoholpegel der Gäste muss erst noch ein wenig steigen, ehe sie bereit sind, ihre Hemmungen abzulegen und sich an die schottischen Hochlandtänze heranzuwagen.«
»Wenn das so ist«, schlug Claud vor, »dann sollten wohl auch wir noch einen Schluck von dem Champagner nehmen und die eine oder andere Portion von dem delikaten Lachs.«
»Prima Idee«, lobte Johnny. »Wenn wir uns beeilen, sind wir so ziemlich die Ersten am Büfett und werden nicht von den anderen niedergetrampelt.«
Frohgemut nahm jeder sich ein Glas Champagner. »Trinken wir auf Lord Johns Beförderung zum Zahlmeister der Armeen«, schlug James vor.
Anerkennend prosteten alle Johnny zu, und jeder nahm einen kräftigen Schluck, woraufhin Charles ausgelassen fragte: »Und nun? Auf wen könnten wir als Nächsten trinken?«
Die Zunge fest in die Wange gebohrt, um nicht vor lauter Lachen laut loszuprusten, nuschelte Claud: »Ach, ich glaube, ich wüsste da schon jemanden. Trinken wir doch auf Lord Palmerston. Hat Premierminister Grey ihn nicht kürzlich erst zum Außenminister ernannt?«
Spontan brachen alle, auch die Russell-Brüder, in lautes Gelächter aus, war es doch auch an ihnen nicht vorbeigegangen, dass der verhasste Stiefvater von James und Claud, der Graf von Aberdeen, dafür seinen Posten hatte räumen müssen.
»Als Nächstes werde ich einen Kusstanz ausrufen«, informierte Georgina ihre Freundin Beth.
Lady Holland lachte. »Aber diesen Tanz gibt es doch gar nicht. Diese Geschichte hatte ich mir auf Georgys Geburtstagsball doch bloß ausgedacht.«
»Und trotzdem war’s der Höhepunkt des ganzen Abends!« Verschmitzt lächelte Georgina ihre Freundin an. »Ich werde jetzt gleich einen ankündigen, und dann wollen wir doch mal sehen, ob wir damit nicht einen neuen Trend gesetzt haben.« Sie weihte die Musiker in ihren Plan ein und hob dann die Hände, um die Aufmerksamkeit der Gäste zu erlangen. Vergnügt kündigte sie den Tanz an und erläuterte einmal kurz, doch klar verständlich die Regeln. Anschließend bat sie
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