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Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ihm entfernen, »heiß« oder »kalt« ruft, kam sie auf den Gedanken, den Blasebalg des Zimmers in Arsènes Bett zu stecken. Der Blasebalg war nicht zu finden; das Spiel hörte auf. Geneviève, die von ihrer Mutter fortgebracht wurde, vergaß, den Blasebalg wieder an seinen Nagel zu hängen, Arsène und ihre Tante suchten ihn eine Woche lang, dann suchte man ihn nicht weiter, man konnte ohne ihn auskommen; der alte Pfarrer fachte sein Feuer mit einem Pustrohr an, das zu der Zeit hergestellt worden war, wo die Pustrohre in Mode waren und zweifelsohne von einem von Heinrichs III. Höflingen herstammte. Eines Abends schließlich, einen Monat vor ihrem Tode, lamentierte die Köchin nach einem Mittagessen, an dem der Abbé Mouchon, die Familie Niseron und der Pfarrer von Soulanges teilgenommen hatten, endlos über den Blasebalg, ohne sich sein Verschwinden erklären zu können.
    »Ei, er liegt ja seit vierzehn Tagen in Arsènes Bett,« sagte, in Gelächter ausbrechend, die kleine Niseron; »wenn das große Faultier sein Bett ordentlich machte, würde es ihn gefunden haben.«
    1791 konnte jedermann in Gelächter ausbrechen; doch diesem Lachen folgte das tiefste Schweigen.
    »Da gibt's doch garnichts zu lachen,« sagte die alte Köchin, »seit ich krank bin, schläft Arsène bei mir.«
    Trotz dieser Erklärung warf Pfarrer Niseron auf Madame Niseron und ihren Ehemann den vernichtenden Blick eines Priesters, der an ein Komplott glaubt. Die Köchin starb. Dom Rigou wußte des Pfarrers Haß so zu schüren, daß Abbé Niseron François Niseron zu Gunsten von Arsène Pichard enterbte.
    1823 bediente Rigou sich immer noch aus Dankbarkeit des Pustrohrs, um das Feuer anzufachen, und ließ den Blasebalg an seinem Nagel hängen. Die närrisch in ihre Tochter verliebte Madame Niseron überlebte ihr Kind nicht: Mutter und Tochter starben 1794. Als der Pfarrer gestorben war, nahm sich Bürger Rigou selber Arsènes Angelegenheiten an, indem er sie zu seiner Frau machte.
    Der ehemalige Laienbruder der Abtei, der Rigou anhing wie ein Hund seinem Herrn, wurde mit einem Male der Stallknecht, Gärtner, Kuhhirt, Kammerdiener und Verwalter des sinnlichen Harpagon.
    Arsène Rigou, die 1821 ohne Mitgift mit dem Generalprokurator verheiratet wurde, erinnerte ein bißchen an die Alltagsschönheit ihrer Mutter und besaß ihres Vaters Verschlagenheit.
    Der damals siebenundsechzigjährige Rigou hatte in dreißig Jahren nicht eine einzige Krankheit zu überstehen gehabt, und nichts schien dieser wahrhaft unverschämten Gesundheit etwas anhaben zu können. Ihr würdet den großen hageren Mann, dessen Augen mit einem braunen Kreis umrändert und mit fast schwarzen Wimpern versehen waren, am Morgen, wenn er seinen runzligen, roten und narbigen Hals zeigte, um so eher mit einem Kondor verglichen haben, als seine sehr lange, am Ende spitze Nase diese Aehnlichkeit noch durch eine blutrote Färbung betonte. Sein fast kahler Schädel würde Kenner durch einen oben spitzzulaufenden Hinterkopf, das Merkmal eines despotischen Willens, erschreckt haben. Seine ins Graue spielenden Augen, die durch seine buschigen Wimpern fast verschleiert wurden, waren zur Heuchelei prädestiniert. Zwei Haarsträhnen von unbestimmbarer Farbe aus so spärlichen Haaren, daß sie die Haut nicht verbargen, fielen über breite, lange Ohren ohne Saum, ein Zug, der, wenn er nicht auf Aberwitz deutet, Grausamkeit in sittlicher Beziehung offenbart. Der scharfgeschnittene Mund mit seinen dünnen Lippen kündigte einen beharrlichen Esser, einen leidenschaftlichen Trinker durch die herabfallenden Winkel an, welche das Aussehen zweier Kommata hatten, aus denen die Brühe herunterlief oder sein Speichel troff, wenn er aß oder sprach. Heliogabal mußte so ausgesehen haben.
    Sein unveränderliches Kostüm bestand in einem langen blauen Ueberrock mit Militärkragen, in einer schwarzen Halsbinde, einem langen Beinkleid und einer weiten Weste aus schwarzem Tuch. Seine Schuhe mit derben Sohlen waren außen mit Nägeln beschlagen und innen mit Einlegesohlen versehen, die seine Frau an Winterabenden strickte. Annette und ihre Herrin strickten auch Monsieurs Strümpfe.
    Rigou hieß Grégoire.
    Obwohl diese Skizze den Charakter zeichnet, würde sich niemand ausmalen können, wie weit der alte Benediktiner ohne Widerstand und in der Einsamkeit die Wissenschaft des Egoismus, des Wohllebens und der Wollust in allen Formen getrieben hatte. Zuerst aß er allein, von seiner Frau und Annette bedient, die sich

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