Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
denn wenigstens erfahren, woran man ist?« fragte die Gräfin.
    Einige Minuten später erschien Mouche in seiner fast völligen Nacktheit. Als man diese Personifikation der Armut inmitten des Speisesaals sah, in welchem ein einziger Spiegel mit seinem Preise diesem Kinde mit bloßen Füßen, bloßen Beinen, bloßer Brust, bloßem Kopf fast ein Vermögen gegeben haben würde, konnte man sich unmöglich der Inspirationen der Nächstenliebe erwehren. Mouches Augen, die wie zwei Kohlen glühten, betrachteten nach und nach die Reichtümer des Saals und der Tafel.
    »Du hast also keine Mutter mehr?« fragte Madame de Montcornet, die sich eine derartige Entblößung nicht anders zu erklären vermochte.
    »Nein, Madame; Mam' ist vor Kummer gestorben., als sie Pap nicht wiedergesehen hat, der 1812 zur Armee abgereist ist, ohne sie mit den Papieren geheiratet zu haben, und der, mit Ihrer Erlaubnis, erfroren ist ... Aber ich hab' meinen Großpapa Fourchon, der ein sehr, ein guter Mann ist, obwohl er mich manchmal wie einen Jesus tüchtig schlägt.«
    »Wie kommt's, lieber Freund, daß es auf Ihrer Besitzung so unglückliche Leute gibt?« sagte die Gräfin, den General anblickend.
    »Frau Gräfin,« sagte der Pfarrer, »wir haben in der Gemeinde hier nur freiwillige Unglückliche. Der Herr Graf hat die besten Absichten; doch haben wir's mit Leuten ohne Religion zu tun, die nur den einen Gedanken hegen: auf Ihre Kosten zu leben.«
    »Aber, mein lieber Pfarrer,« sagte Blondet, »Sie sind hier, um sie sittlich zu heben.«
    »Monsieur,« erwiderte der Abbé Brossette Blondet; »Monseigneur hat mich hierher gesandt wie auf die Wildenmission; doch, wie ich die Ehre hatte, ihm zu sagen, sind Frankreichs Wilde unzugänglich. Sie haben es sich zum Gesetz gemacht, nicht auf uns zu hören, während man die Wilden Amerikas interessieren kann.«
    »Man hilft mir noch ein bißchen, Herr Pfarrer; wenn ich aber in Ihre Kirche ginge, würde man mir um keinen Preis mehr helfen, man würde mir was um die Ohren schlagen.«
    »Die Religion müßte damit beginnen, ihm Beinkleider zu geben, mein lieber Abbé,« sagte Blondet. »Fangen Sie bei Ihren Missionen nicht damit an, die Wilden zu ködern?«
    »Er würde seine Kleider bald verkauft haben,« antwortete Abbé Brossette mit gesenkter Stimme; »und ich habe keinen Gehalt, welcher mir erlaubt, einen solchen Handel zu treiben.«
    »Der Herr Pfarrer hat recht,« sagte der General, indem er Mouche musterte.
    Des kleinen Jungen Politik bestand darin, anscheinend nichts von dem zu verstehen, was man sagte, wenn man ihm gegenüber im Rechte war.
    »Die Klugheit des kleinen Schelms beweist Ihnen, daß er Gut von Böse zu unterscheiden weiß,« fuhr der General fort. »Er steht im Alter, wo er arbeiten könnte, und denkt nur daran, ungestraft Delikte zu begehen. Er ist den Waldhütern sehr bekannt. Ehe ich Maire wurde, wußte er schon, daß ein Eigentümer, der Zeuge eines auf seinen Ländereien begangenen Deliktes ist, kein Protokoll aufnehmen kann; er blieb in frecher Weise mit seinen Kühen in meinen Wiesen, ohne hinauszugehen, wenn er mich erblickte, während er sich jetzt salviert.«
    »Ach, das ist schlecht gehandelt,« sagte die Gräfin. »Man darf das Gut anderer Leute nicht anrühren, mein kleiner Freund.«
    »Man muß essen, Madame; mein Großvater gibt mir mehr Prügel als Brot, und Ohrfeigen machen den Magen nicht satt. Wenn die Kühe Milch haben, melke ich mir etwas davon ab, das gibt mir Kraft. Ist der gnädige Herr denn so arm, daß er mich nicht ein bißchen von seinem Grase trinken lassen kann?«
    »Er hat heute vielleicht noch nichts gegessen,« sagte die Gräfin, von solch tiefem Unglück bewegt. »Geben Sie ihm also Brot und diesen Geflügelrest; kurz, er soll frühstücken! ...« fügte sie, den Kammerdiener anblickend, hinzu. »Wo schläfst du?«
    »Ueberall, wo man uns im Winter duldet, und bei warmem Wetter unter dem Sternhimmel.«
    »Wie alt bist du?«
    »Zwölf Jahre.«
    »Da ist's ja noch Zeit, ihn auf den guten Weg zu bringen,« sagte die Gräfin zu ihrem Ehemann.
    »Das gibt einen Soldaten,« sagte der General rauh, »er ist gut vorbereitet. Ich hab' ebensoviel wie er gelitten, ich, und stehe jetzt hier!«
    »Verzeihung, General, ich bin noch nicht angegeben worden,« sagte das Kind, »ich werde nicht losen. Meine arme Mutter, die Mädchen war, ist auf dem Felde niedergekommen. Ich bin ein Sohn der Erde, wie mein Großpap' sagt. Mam' hat mich vor dem Militär gerettet. Ich

Weitere Kostenlose Bücher