Tabu: Thriller
werden sollen! Du bist ja soooo clever! Mein Gott, so war das nicht gemeint, sagte sie zu sich selbst. Er hat ein Problem mit Frauen. Darum entführt er sie. Uns . Und bringt sie um. Uns .
Sie fragte sich, was er machte, wenn er nicht zu Hause war. Ging er einer Arbeit nach? Führte er ein Doppelleben?
Ich kann mich nur auf mich selbst verlassen, dachte sie.
Niemand wusste, wo sie war. Niemand wusste, wer er war. Sie hatte nur sich selbst. Was ihr wenig weiterhalf, solange sie mit einer Kette an eine Wand gefesselt war. Sie musste das Beste aus der Situation machen.
Sie musste ihn irgendwie überlisten. Ihn mental überrumpeln. Ihm einen psychischen Knock-out versetzen. Sie musste den Nerv in ihm treffen, der am verletzlichsten war. Mit ein bisschen Glück könnte sie ihn psychisch ausschalten.
Sie musste ihn weichklopfen. Zu ihm durchdringen.
Sie wusste, dass sie ihr Leben riskierte. Gefahr lief, das wackelige Gleichgewicht zwischen ihnen zu zerstören. Die kleinste Irritation konnte ihn provozieren.
Ja und?, dachte sie. Früher oder später wird er mich so oder so umbringen. Ich habe nichts zu verlieren.
Auf Sendung
I
»Alles klar, die Bilder sind in der Regie!«
Der technische Leiter trommelte mit der Handfläche gegen das Mischpult. Richard Wolter schaute auf die Uhr. »Gut!« Er sah sich zu Kristin und dem Kriminalreporter Caspar Vik um. Sie saßen im hinteren Teil des mobilen Übertragungswagens von Kanal 24, einem roten, amerikanischen Van mit Satellitenschüssel auf dem Dach. Die große Parabolantenne war himmelwärts ausgerichtet. Vorne und hinten waren schwere Stative angeschraubt. Kristin fand, dass der Wagen eher wie ein hochtechnologisches Laser-Fahrzeug aussah.
Sie hatten an der Kreuzung oberhalb von Rune Strøms Haus geparkt. So wenig Personal wie möglich mitgenommen. Zwei Techniker, einen Kameramann, Richard, Caspar und Kristin.
»Was sagt Vang dazu?«, fragte Caspar.
»Begeistert ist er nicht«, antwortete Wolter. »Aber er hat auch nicht gesagt, dass wir die Ermittlungen gefährden. Ich hatte den Eindruck, er wollte Zeit schinden, weil er sich nicht sicher ist. Was«, er verdrehte die Augen, »allerdings sein Problem ist.«
»Es ist aber auch durchaus möglich, ich meine rein hypothetisch, dass Rune Strøm der falsche Mann ist«, gab Kristin zu bedenken.
»Natürlich. Und darum…«, Richard zeigte auf Caspar, »…ist es auch so wichtig, dass du immer wieder darauf hinweist, dass es sich um einen Verdächtigen handelt. Nicht um einen Mörder. Keine Namen! Ich habe mit dem Kameramann abgesprochen, auf keinen Fall das Haus zu zeigen. Uns interessiert die Nachbarschaft. Das Umfeld.« Er verstellte seine Stimme. » Hier, im idyllischen Grefsen, wohnt der Mann, den die Polizei im Aquarius-Fall verhören will. «
»Ist eine Liveschaltung nicht ein bisschen übertrieben bei den wenigen Informationen, die wir haben?«, fragte Caspar.
»Übertrieben?«, sagte Wolter verschnupft. »CNN hat live gesendet, als das FBI bei dem Security-Mann anklopfte, der ihrer Meinung nach die Bombe im OL-Park deponiert hatte.«
»Was, wenn er die Sendung sieht?«
»Das wiederum ist ein Problem der Polizei.«
»Ehrlich gesagt, Richard…«, setzte Kristin an.
Er wimmelte die Einwände mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. »Dazu ist jetzt keine Zeit! Es ist meine Entscheidung und meine Verantwortung. Wir nennen ihn nicht beim Namen! Sein Haus wird nicht zu sehen sein! Wir stellen nur fest, dass…«, er verstellte wieder die Stimme, »in dieser netten Nachbarschaft in Grefsen in Oslo ein Mann wohnt, den die Polizei möglicherweise als Aquarius verdächtigt und so weiter und so fort. Caspar, du und Arve seid alle Fragen noch mal durchgegangen?«
»Yepp. Und ich habe nicht eine einzige Antwort!«
»Hört mal – es geht weniger darum, was wir sagen, als darum, dass wir die Ersten sind. Die Sache wird uns spätestens morgen von allen Titelblättern anspringen. Wir sagen nicht mehr, als wir wissen. Ein Mann, der vor etlichen Jahren verdächtigt wurde, seine Verlobte in der Badewanne ertränkt zu haben, ist wieder im Visier der Polizei. Nicht mehr und nicht weniger. Dass wir live senden, ist einzig und allein eine Frage der Dramaturgie.«
»Und wenn der Kerl mit einer Schrotflinte aus dem Haus gestürzt kommt?«
Der Gedanke war Wolter offensichtlich noch nicht gekommen. Er warf einen Blick auf die Uhr und sah Caspar in die Augen. »Dann, Caspar, gehst du in Deckung und sagst was Schlaues!«
»Und so
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