Tabu: Thriller
Wahrheit ein Monster verteidigen?«
»Gunnar Borg… Sie sind ein erfahrener Mann«, sagte sie mit einer Zweideutigkeit, über die sie beide lächeln mussten. »Sie kennen meine Rolle als Anwältin. Wir lassen uns nicht von Gefühlen leiten.« Wieder sah sie ihn herausfordernd an. Er blickte zu Boden. Sie fuhr fort: »Auch der grausamste Verbrecher verdient vor Gericht eine gerechte Verhandlung, und es ist die Pflicht seines Anwalts, alles nur Erdenkliche für ihn zu tun. Glaubt man aber, dass einem ins Gesicht gelogen wird, ändert sich die Sache ein bisschen. Ein Anwalt sollte zu seinem Klienten Vertrauen haben. Man ist unter Umständen nicht bereit, jemanden zu verteidigen, der einem nicht die Wahrheit sagt. Nicht wegen der Verbrechen, sondern weil der gegenseitige Respekt fehlt. Ich persönlich habe nie jemanden vertreten, von dem ich angenommen habe, dass er mich belügt. Aber in Rune Strøms Fall ist das kein Problem. Ich glaube nicht, dass er lügt.«
»Und was ist mit den Kleidern, die in seinem Mülleimer gefunden wurden?«
»Die muss jemand da deponiert haben.«
»Deponiert?«
»Natürlich.«
»Wer?«
»Das ist doch klar! Der Mörder! Aquarius!«
Er lachte. »Sie wirken so sicher.«
Sie nickte.
»Das bedeutet, dass der Mörder – vorausgesetzt, es ist wirklich nicht Rune Strøm – irgendeine Verbindung zu ihm haben muss?«
»Vielleicht. Aber nicht notwendigerweise. Er kann in der Zeitung über den alten Fall gelesen haben.«
»Oder ihn kennen.«
Sie nickte.
»Was ist Rune für ein Mensch?«
Die Andeutung eines Lächelns kräuselte ihre Lippen. Gunnar ertappte sich dabei, wie er ihr auf den Mund starrte, auf den Lippenstift, der die Lippen schmaler machte, als sie waren.
»Speziell«, sagte sie. »Sehr speziell. Als wir uns das erste Mal trafen, sagte er zu mir, ich hätte eine sinnliche Aura. Jeezes! Man hört ja so manches, wenn ein Klient registriert, dass seine Strafverteidigerin eine Frau ist.« Sie zögerte einen Moment, um die Worte wirken zu lassen. »Aber ›sinnliche Aura‹, das war wirklich Spitze! Aber so ist er! Off the record, der Mann hat wirklich ein Problem…« Sie tippte sich an die Stirn. »Wenn ich ihn frage, wo er zu einem gewissen Zeitpunkt gewesen ist, redet er von Sternenzeiten und Dimensionen. Ich möchte den Richter sehen, der es akzeptiert, wenn ein Angeklagter auf unschuldig plädiert, weil er sich zum Tatzeitpunkt in der achten Dimension befunden hat.«
Sie lachte kokett und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, schnell und unauffällig, aber die Wirkung war explosiv. Verblüfft stellte Gunnar fest, dass er im Begriff war, eine Erektion zu bekommen. Himmel, es gibt also doch ein Leben nach dem Tod! Er schlug das eine Bein über das andere. Es war über sieben Jahre her, dass er zuletzt mit einer Frau geschlafen hatte.
»Haben Sie mit ihm über den Einbruch ins Historische Museum gesprochen?«
Sie schnitt eine resignierte Grimasse. »Belanglos! Aus denselben Gründen. Okkulter Fanatismus. Er wollte nichts darüber sagen, aber seine Geliebte – oder was immer Rita ist – hat mir erzählt, dass Rune diese Voodoo-Puppen stehlen wollte, um sie ihren rechtmäßigen Besitzern wiederzugeben. Also irgendeinem haitianischen Priester oder Gott, was weiß ich.«
»Sie glauben aber nicht, dass er so verrückt ist, tatsächlich einige dieser Morde begangen zu haben?«
Sie schüttelte langsam den Kopf, hielt seinem Blick stand und befeuchtete ihre Lippen.
Verdammt, das macht sie doch mit Absicht, dachte er.
»Er hat nicht alle Tassen im Schrank«, sagte sie, »aber das macht ihn noch lange nicht zu einem Mörder. Und es ist bloß eine Frage der Zeit, bis das auch der Polizei aufgeht.«
»Dann bedeutet das, dass der wirkliche Mörder noch frei herumläuft…«
» Yes Sir, der befindet sich definitiv irgendwo dort draußen.«
Als er wieder auf der Straße stand, versuchte er, Kristin anzurufen, aber sie ging nicht ans Telefon. Vermutlich machte sie einen Spaziergang im Wald. Gunnar war besorgt. Wenn Rune Strøm unschuldig war, hatte Aquarius freies Spiel.
2
Gunnar lief direkt zurück in die Dagbladet -Redaktion. Aus seinem Büro rief er Rune Strøms alte Freunde an. Der Erste, den er erreichte, war Werner Schwartz. Er sagte, er arbeite gerade an einem Bild, aber Gunnar dürfe gerne bei ihm vorbeischauen, wenn er glaube, dass ihm das nütze.
Das Atelier lag in einem Loft im Parkveien. Es sah genauso aus, wie Gunnar sich ein Atelier vorgestellt
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