Tabu: Thriller
hatte. Große Fenster zum Himmel. Eine Riesenstaffelei. Auf dem Bett ein nacktes Paar in inniger Umarmung. Und Werner Schwartz selbst: groß, hager, mit strähnigen Haaren und Farbklecksen auf dem Hemd.
Gunnar war verlegen wegen der nackten Modelle, aber weder Schwartz noch das Pärchen schienen sich daran zu stören. Der Anblick der Frau – eine rubenssche Verlockung mit blassrosa Haut – lockte erneut die Sexualhormone hervor.
»Es geht also um Rune Strøm«, sagte Gunnar und versuchte, sich auf den groß gewachsenen Kunstmaler zu konzentrieren. Er roch nach Terpentin und Ölfarbe.
»Armer Rune. Ich habe darüber gelesen. Fürchterlich!« Er lispelte. »Ich glaube nicht, dass er das getan hat. Schon damals habe ich das nicht geglaubt, bei Linda.«
»Die Polizei hat Kleidungsstücke bei ihm gefunden.«
Er zuckte mit den Schultern, eine Bewegung, die wohl vermitteln sollte, dass solche Trivialitäten in seiner Welt nicht allzu viel bedeuteten. »Ich kenne Rune. Das heißt, ich kannte ihn. Es ist schon eine Weile her, dass ich ihm zuletzt begegnet bin.«
»Woher kennen Sie ihn?«
»Wir gehörten damals im Gymnasium zur gleichen Clique. Waren in der gleichen Klasse.«
»Und Sie glauben nicht, dass er Linda getötet hat?«
»Er kann das einfach nicht getan haben. Rune ist ein sensibler Kerl. Einmal ist er mit einer angefahrenen Katze bis nach oben zur Veterinärschule gefahren. Er beschäftigt sich mit geistigen Fragen. Mit höherem Bewusstsein. New Age nennt man das, glaube ich.«
»Wurden Sie nach dem Mord an Linda verhört?«
»Mord? Ich bin überzeugt, dass sie ertrunken ist. Vermutlich hat sie einen Joint geraucht und ist in der Wanne eingeschlafen. Sie hat ständig gebadet, die dumme Ziege! Entschuldigung! Aber nein, ich bin damals nicht verhört worden. Warum sollte ich?«
»An was erinnern Sie sich?«
»Ich erinnere mich, dass Rune vollkommen fertig war. Das war ein paar Jahre nach unserer Schulzeit. Unsere Clique hing aber noch immer zusammen. Nach Lindas Tod war Rune völlig verändert. Er verschloss sich vollkommen, verstehen Sie. Zog zurück zu seiner verrückten Mutter. So eine Mutter könnte jeden zu einem geisteskranken Mörder machen. Aber nicht Rune. Er zog sich von uns anderen zurück. Nur von Rita nicht. Sie waren dann wohl auch ein paar Jahre zusammen. Könnte sogar sein, dass die heute noch zusammen sind. Aber Rune geriet – wie soll ich das sagen – ins Abseits. Jemand, der am Rand des wirklichen Daseins lebt. Wenn Sie verstehen. Ich drücke mich oft so kompliziert aus. Haben Sie von seinem Einbruch gehört? Dass er versucht hat, diese Voodoo-Puppen aus dem Historischen Museum zu klauen. Das ist typisch Rune! Er hatte immer solche fixen Ideen. Aber deswegen ein Mörder? Nein. Nicht Rune. Dafür ist er viel zu gutmütig.«
Gunnar blickte verstohlen zu der nackten Frau hinüber, ehe er sich bedankte. Es sah aus, als wäre sie eingeschlafen.
3
Er hörte das Klingeln des Telefons, als er den Treppenabsatz der ersten Etage erreichte.
Gunnar hastete weiter die Treppe hinauf, fummelte mit den Schlüsseln herum… »Komm schon, los, jetzt komm schon!«… schloss die Tür auf… »Leg nicht auf!«… stürmte hinein und riss den Hörer von der Gabel. »Hallo?«, keuchte er.
»Hast du geschlafen?«
Die Verbindung war schlecht, aber es war Kristins Stimme. Da gab es keinen Zweifel.
Er war so außer Atem, dass er ihr kaum antworten konnte. »Oh, Gott sei Dank… ich hab versucht… dich… heute früh… anzurufen…« Er rang nach Atem. »Ich bin… gerade… nach Hause gekommen.«
»Gunnar? Kriegst du gerade einen Herzinfarkt, oder was?«
Stille.
»Hallo? Gunnar?«
»Ich lebe, ich lebe! Muss nur erst mal Luft holen.«
Wieder Stille.
»Warum hast du heute früh angerufen?«, fragte sie.
»Ich war bei der Anwältin von Rune Strøm…«
»Ach ja?«
»Es ist nur…« Er zögerte.
»Was?«
»Kristin, ich habe kein gutes Gefühl.«
»Kein gutes Gefühl? Wieso? Was?«
»Ich habe mit einigen Leuten gesprochen. Bekannten von Rune Strøm.«
»Ja und?«
»Du, ich habe mir gedacht…« Er fragte sich, wie er es sagen sollte, dann nahm er Anlauf: »Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass Rune Strøm vielleicht gar nicht Aquarius ist?«
Sie wurde still. Dann sagte sie. »Nein, wirklich nicht, im Gegenteil. Ich weiß, dass er es ist, Gunnar!«
»Aber Kristin… findest du nicht, dass das alles ein bisschen zu… glatt wirkt?«
»Wie meinst du das?«
»Das Mädchen, das in der
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