Tabu: Thriller
sicherer zu warten!«
»Ich geh kein Risiko ein. Will nur wissen, ob da jemand ist.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein, warten Sie hier. Bis ich ein Zeichen gebe. Das ist das Beste.«
Roffern war nicht schwer zu überreden.
Gunnar machte einen Umweg durch das Dickicht, um sich nicht auf der offenen Fläche der Hütte zu nähern. Er schlich sich bis an die rauen Holzwände heran, die nach sonnenwarmem Teer rochen. Er lugte um die Ecke, lauschte.
Ein Vogel zwitscherte. Im Gras blitzte ein Sonnenstrahl in einer Glasscherbe auf.
Er ging um die Ecke herum, schaute durch ein Fenster ins Innere der Hütte. Probierte vorsichtig, ob die Tür offen war, und zuckte zurück, als sie aufglitt.
Er lauschte. Machte einen vorsichtigen Schritt hinein. Schnupperte.
Er wagte einen Blick in die Küche.
Auf der Wachsdecke standen zwei Teebecher – einer leer, der andere halb voll.
Er war hier .
Er starrte auf die Becher und musste mehrmals schlucken, um den bitteren Geschmack der Angst loszuwerden.
Das muss nichts bedeuten, redete er sich selbst ein. Vielleicht hatte sie Besuch. Von wem auch immer. Vielleicht machen sie einen Spaziergang im Wald.
Er schlich in die Stube. Die Sonne sickerte weich durch die gewölbten Scheiben. Auf dem Tisch am Fenster stand eine uralte Remington-Schreibmaschine. Daneben lag Kristins Manuskript.
Sein Blick fiel flüchtig auf ein verzerrtes Bild von sich selbst in einem zerbeulten Spiegel. Vor der Standuhr, die ausgetickt hatte, blieb er stehen. Seine Fingerkuppen fuhren über das trübe Glas vor dem Zifferblatt.
Er hat sie mitgenommen.
Die Hand an dem wackeligen Geländer, schlich er die knarrende Treppe nach oben.
In dem kleinen Schlafzimmer lagen ein paar Socken und ein Haufen Unterwäsche auf einem der Betten. Das andere Bett war zerwühlt. Ihr Nachthemd lag auf dem Boden.
Einen Koffer oder Rucksack sah er nirgends.
Er war hier, dachte er. Er war hier und hat sie mitgenommen.
Noch einmal durchsuchte er alle Räume, bevor er das Küchenfenster öffnete und nach Roffern rief.
»In der Küche stehen zwei Becher«, sagte er, als der Kameramann die Hütte betrat. »Sie scheinen überstürzt aufgebrochen zu sein. Die Tür war nicht abgeschlossen. Wir sind zu spät gekommen.«
Während Roffern in der Hütte und auf dem Grundstück filmte, setzte sich Gunnar mit der Zeitungsredaktion in Oslo in Verbindung. Er ließ den Reportageleiter aus einer Sitzung holen.
»Gunnar, wo steckst du? Hier ist die Hölle los, und du bist nirgends zu finden…«
»Er hat sie. Ich rufe aus Juvdal an. Er hat sie.«
»Von wo rufst du an? Ich denke, du bist in Rødtvet?«
»Juvdal! In der Telemark.«
»Telemark? Wie um Himmels willen bist du dahin…«
»Mit einem Wasserflugzeug. Er hat sie!«
»Wasserflugzeug? Verdammt, Gunnar, wer hat dir dafür grünes Licht…?«
»Junger Mann, hörst du nicht, was ich sage? Er hat sie! Er hat ihren Bruder umgebracht, und jetzt hat er sie in seiner Gewalt!«
»Wer hat wen? Umgebracht, sagst du? Wovon redest du, Gunnar?«
»Der Mörder! Aquarius! Er hat Kristin Byes Bruder umgebracht. Und jetzt hat er sie entführt!«
Am anderen Ende wurde es still. »O Scheiße, Scheiße, Scheiße.« Er schnappte nach Luft. »Jetzt mal langsam, Gunnar! Kristin Bye… Da kam vorhin ein Hinweis rein. Und er hat ihren Bruder umgebracht? Scheiße, Scheiße, Scheiße. Ich hab den Hinweis nicht weiter ernst genommen… Dachte mir, die Gute kann es doch treiben, mit wem sie will, ohne dass wir uns einmischen, ist es nicht so? Oh shit . Wie hat er ihren Bruder umgebracht?«
»Ein Hinweis?«, rief Gunnar. »Was für ein Hinweis?«
Gunnar hörte, wie sich der Reportageleiter über den Tisch beugte. »Warte mal, hier ist es. Irgend so ein Kauz hat heute Morgen gegen acht Uhr das Tipp-Telefon angerufen. Von einem Campingplatz in Jøkullfoss oder so was. Gibt es einen Ort, der so heißt?«
»Ja, ja! Jøkullfoss! In der Telemark!«
»Der Typ wollte, dass wir jemanden vorbeischicken, weil Kristin Bye sich mit einem Kerl in einer seiner Hütten eingemietet hätte. Wie gesagt, wir wollten nicht…«
»In Jøkullfoss? Zusammen mit einem Mann?«
» Yes . Wahnsinnsstory, oder? Verdammt… Hältst du es für möglich, dass das…?«
»Hör zu, wir fliegen weiter nach Jøkullfoss. Du informierst die Polizei. Frag direkt nach Runar Vang! Richte ihm einen Gruß von mir aus und sag ihm, es ist ernst. Jetzt geht es um Leben und Tod!«
In dem Augenblick sah er durch das Laubwerk die drei Polizisten
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