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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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Lichtflecken.
    Weit weg vom Verkehr, den Blick auf drei Enten auf einem kleinen Teich gerichtet, setzte sie sich auf eine Bank.
    Sie starrte in den Himmel und dachte an ihre Mutter.
    Als Kristin acht Jahre alt war, hatte die Mutter einen ihrer epileptischen Anfälle gehabt. Kristin hatte in der Küche auf einem Stuhl gesessen und gemalt, als es hinter ihr polterte. Als sie sich umdrehte, sah sie ihre Mutter zitternd zwischen Hackbällchen und Töpfen am Boden liegen. Sonst war immer ihr Vater da gewesen, wenn sie einen Anfall hatte. Jetzt war sie mit ihrer Mutter allein. Kristin hatte sich nicht rühren können. Sie wusste, dass sie ihre Bluse aufknöpfen und aufpassen sollte, dass ihre Mutter sich nicht die Zunge abbiss oder sich verletzte. Doch während des ganzen Anfalls war sie auf ihrem Stuhl sitzen geblieben und hatte zugesehen, ohne etwas tun zu können. Als ihre Mutter schließlich in einen erschöpften Schlaf fiel, glaubte Kristin, sie wäre tot. Reglos verharrte sie auf ihrem Stuhl, bis sie die Erwachsenen auf dem Hof lärmen hörte. Da war sie vom Stuhl geklettert, nach oben in ihr Zimmer gestürmt und hatte sich unter der Bettdecke versteckt.
    Eine SAS-Maschine flog dröhnend über den Schlosspark. Sie blickte zu Boden, stützte die Ellenbogen auf die Knie und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Vor sich sah sie die Frau an der Orgel sitzen, hörte den Klang des Instruments und das Knallen des Schusses. Nie zuvor hatte sie sich so allein, so hilflos gefühlt. Abgesehen von diesem Nachmittag auf dem Stuhl.
    Der epileptische Anfall auf der Alm war der letzte gewesen. Danach hatten die Ärzte ihrer Mutter ein neues Medikament verschrieben, mit dem sie die Anfälle in den Griff bekam. Sieben Jahre später war sie gestorben. Gehirntumor. Kristin hatte sie gemeinsam mit ihrem Vater zu Hause gepflegt, bis die Ärzte darauf bestanden, dass sie in ein Krankenhaus kam. Die letzten Tage hatte sie im Koma gelegen. Ihre Atemzüge waren kurz und angestrengt gewesen, als ob jeder der letzte sein könnte.
    Am deutlichsten waren Kristin diese Atemzüge in Erinnerung. Nicht das elektronische Piepen der Überwachungsgeräte, der Anblick des eingesunkenen Gesichts mit den blauen Adern oder der Geruch der Medikamente und des langsamen Todes. Sie erinnerte sich an die Atemzüge. Sie hatte damals gespürt, wie sich ihre Mutter mit jedem Luftholen an das Leben klammerte. Die Abstände waren immer größer geworden, und jedes Mal hatte Kristin angenommen, dass es jetzt zu Ende war, bis ein weiterer rasselnder Atemzug das Unvermeidbare noch einen kleinen Moment hinauszögerte. Doch eines frühen Morgens hatte der Abstand angedauert, war lang und länger geworden, und als Kristin ihre Mutter angesehen hatte, war es vorbei gewesen.
    Eine alte Frau mit Stock schleppte sich über den Weg vor der Bank. Sie warf einen Blick auf Kristin und lächelte kurz. Eine Taube gurrte. Hinter einem Fenster oben im Schloss nahm Kristin eine Bewegung wahr; eine Reflexion im Sonnenlicht. Der König?, dachte sie automatisch.

4
    Die Stimmung in der Redaktion war geladen. Journalisten, Kameraleute und Redakteure diskutierten lauthals. Die einen argumentierten emotionsgeladen gegen eine Ausstrahlung der Bilder, während andere resigniert die Köpfe über die weichherzigen Kollegen schüttelten, die den Nachrichtenwert des Videos nicht zu erkennen schienen. Eine dritte Gruppe rief nach Kristin, um ihre Meinung zu hören, aber sie wedelte nur abwehrend mit der Hand.
    Skaug saß in Wolters Büro, und als sie Kristin durch den Türspalt erblickten, winkten sie sie eilig herein.
    »Vang war stinksauer«, sagte Wolter. »Er hätte fast die ganze Redaktion verhaftet.«
    »Hast du gesagt, dass du die Aufnahme zeigen willst?«
    »Er hat versucht, es uns zu verbieten. Als ich ihn fragte, mit welchem Paragraphen er dieses Verbot begründen wollte, wurde er noch mürrischer. Verdammt, der Kerl glaubt wohl, die ganze Welt zu besitzen!«
    Skaug zog Kristin zu sich: »Ich fürchte, er will dich noch einmal befragen.«
    »Warum das denn? Ich habe ihm alles gesagt, was ich weiß.«
    Skaug nickte verzagt.
    Das Telefon auf dem Tisch vor ihnen begann zu klingeln. Sie starrten es wütend an, bis es verstummte. Skaug fischte sich eine Zigarette aus der Packung.
    Wolter blickte von Skaug zu Kristin und zurück. »Und? Habt ihr noch einmal drüber nachgedacht?«
    Beide holten tief Luft. Keiner sagte etwas.
    »Toralf?«
    Skaug nahm einen tiefen Zug von der unangezündeten

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