Tacheles
den ihren drückte. Bronstein wäre gerne noch ein junger Liebhaber gewesen, dessen Potenz unerschöpflich war, sodass es ihm gegönnt wäre, sogleich zu einem Dakapo zu schreiten, doch andererseits durfte er seinem Glück auch nicht zu viel abverlangen. So zog er sich denn schließlich zurück und rollte sich seitwärts ab. Eva ließ es geschehen und begann dann, sanft seine Brust zu streicheln.
„Gar nicht schlecht für dein Alter“, sagte sie neckend.
„Gell.“ Bronstein vermochte sich nicht mehr zu erinnern, wann er zuletzt so zufrieden gewesen war wie in diesem Augenblick. Es verlangte ihn nach einer Zigarette. Nackt wie er war, stapfte er in die Küche und holte seine „Donau“. Er blieb im Türrahmen stehen: „Darf ich hier … oder soll ich lieber draußen?“
„Klar darfst hier, aber nur, wennst mir auch eine gibst.“
Bronstein kehrte mit zwei Zigaretten und einer Schachtel Zünder zurück, Eva, die sich nun in richtiger Richtung aufdas Bett gelegt hatte, kramte aus ihrem Nachtkästchen einen Aschenbecher hervor. Bronstein legte sich neben sie, steckte sich beide Zigaretten in den Mund, zündete sie mit einem Streichholz an und reichte Eva dann einen der beiden Glimmstängel. „Soll ich dir was sagen“, meinte er, nachdem er den ersten Rauch ausgeblasen hatte, „ich weiß nicht, wann ich zuletzt so glücklich war. Ja, ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt je so glücklich war.“
„Einedrahrer!“, stupste ihn Eva mit glucksendem Lachen.
„Nein, wirklich“, blieb Bronstein sachlich.
„Na kloa, weil des is ja dei Dienstzeit, oder?“
Eine derart abrupte Rückkehr in die Wirklichkeit hätte Bronstein gerne vermieden, doch noch ehe er reagieren konnte, sprach Eva weiter, es war ihr wohl aufgefallen, dass ihre Bemerkung nicht mit Wohlwollen aufgenommen worden war.
„Deaf i di was frag’n?“
„Nur zu“, war Bronstein froh, wenigstens noch einen kleinen Moment nicht weiter an den Dienst denken zu müssen.
„I hab glaubt, ihr Juden habts ka Vorhaut.“
Bronstein hätte um ein Haar die Zigarette in zwei Teile gebissen.
Da war es schon wieder. Dieses Thema, das ihn seit Tagen verfolgte wie ein Fluch. Was hatte er mit all dem zu schaffen? Warum interessierte es plötzlich jedermann und offensichtlich auch jede Frau, ob man Jude war oder nicht. Nur wegen dieses Gefreiten aus Braunau? Vor allem: Was sollte er Eva sagen? Während er einen weiteren Zug von der Zigarette machte, überlegte er die Optionen, die er nun hatte. Er konnte aufstehen, in der Küche Wurst suchen, diese demonstrativ verspeisen und danach sagen: „Und wir Juden essen auch kein Schweinefleisch.“ Die ironische Variante.
Er konnte abstreiten, Jude zu sein. Die wahrheitsliebende Variante. Da freilich würde sie ihn fragen, warum er dannBronstein hieß, und man würde in einer längeren Diskussion landen.
Er konnte einfach gar nichts sagen. Die feige Variante. Aber vielleicht insistierte sie auf ihrer Frage, und dann war damit nichts gewonnen.
Wieder blies er Rauch aus. „Weißt du“, sagte er dann, „es stimmt schon, dass meine Vorfahren irgendwann im finstren Mittelalter Juden aus Galizien waren, darum heiße ich auch Bronstein. Aber meine Familie lebt nun schon sehr lange in Wien, und wir sind genauso lange schon konvertiert. Meine Tante beispielsweise hat einen Herrn Winkler geheiratet, kirchlich übrigens, bei der käme nie jemand auf die Idee, sie mit der ganzen Sache da in Verbindung zu bringen. Ich heiß halt Bronstein. Und das schon seit fünfzig Jahren.“
Eva bemühte sich um einen verständnisvollen Blick. Da Bronstein aber weiter nur stur an die Decke starrte, begann sie, sanft seinen Penis zu kraulen. Bronstein war im Wortsinne satt, er hatte heftig ejakuliert und verspürte keine sonderliche Lust auf eine Prolongation. Offenbar aber war der kleine Bronstein ganz anderer Ansicht, denn noch während der große Bronstein die Zigarette im Aschenbecher ausdämpfte, erhob sich sein Gemächt zu einer neuerlichen Erektion. Nun, wer vermochte schon zu sagen, wann sich wieder einmal die Gelegenheit zu einem Geschlechtsverkehr ergab? Vor zwei Tagen hatte er noch ernsthaft in Erwägung gezogen, sich Sex zu kaufen. Und nun bot sich da jemand an, es freiwillig ein zweites Mal mit ihm zu treiben. Das war zuletzt wohl vorgekommen, als der Irre von Konopischt noch als Thronfolger galt. Carpe diem, hieß es im Lateinunterricht, und Bronstein zog Eva auf sich. Sie küssten sich lang und innig, und Bronsteins
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