Tänzerin der Nacht - Feehan, C: Tänzerin der Nacht - Night Game
verdammt noch mal. Jemand hatte ihr Motorrad gestohlen – noch persönlicher ging es gar nicht. Es juckte sie in den Fingern, ihm den Hals umzudrehen. Sie sprang über den Zaun, landete leichtfüßig und wartete, um sicherzugehen, dass die Hunde ruhig blieben und kein Geräusch ihre Anwesenheit verriet.
Auf dem Grundstück standen zwei große Gebäude. Kein Licht und kein Ton drangen aus dem Haupthaus. Die Hunde regten sich unruhig in einem nahen Zwinger. Das zweite Gebäude, offenbar die Doppelgarage, lag ein wenig hinter dem Haus zurückversetzt und hatte Schlösser am Tor und an einem kleineren Eingang. Flame schlich sich näher heran, denn sie misstraute dieser ganzen Kulisse.
Sie wusste nur zu gut, dass sie nichts überstürzen durfte. Sie kundschaftete die Lage erst einmal aus, machte sich ein Bild von ihrem Gegner, bestimmte, wie viel Bewegungsspielraum sie für ihre Flucht haben und wie lange sie brauchen würde, und prägte sich für den Fall, dass sie Schwierigkeiten bekommen würde, mehrere Fluchtwege ein.
Flame war sich durchaus über die Möglichkeit im Klaren, dass sie in eine Falle ging, aber sie dachte gar nicht daran, ihr Motorrad zurückzulassen. Oberstes Gebot: Häng dein Herz nie so sehr an einen Gegenstand, dass du ihn nicht von einem Moment auf den anderen zurücklassen kannst. »Der Teufel soll dich holen, Whitney. Ich denke gar nicht daran, so
zu leben. Du kannst nicht über mein Leben bestimmen.« Aber er tat es. Er würde immer über ihr Leben herrschen, bis er sie töten ließ. Er hielt ihre Schnüre in der Hand wie ein Puppenspieler. Sie wusste, dass sie die Garage nicht betreten durfte. Das hatte ihr Whitney beigebracht. Und er kannte sie in- und auswendig und wusste, dass sie seine Autorität verabscheute. Ihm den Gehorsam verweigerte.
Der Boden unter ihren Füßen bewegte sich, und die Bäume schwankten unheilverkündend. Die Hunde im Zwinger winselten. Flame lehnte sich an einen breiten Baumstamm und zwang sich durchzuatmen. Sie hatte teuflische Kopfschmerzen. Heute Nacht hatte sie zu viel Gebrauch von ihren übersinnlichen Fähigkeiten gemacht, und dafür bezahlte sie jetzt schon. Das war ein ganz schlechtes Zeichen. Und sie durfte unter gar keinen Umständen die Selbstbeherrschung verlieren.
Sie biss die Zähne zusammen und näherte sich der Garage. Es war nicht allzu schwierig, die Schlösser zu manipulieren, und nirgends war eine Alarmanlage. Daher konnte sie sich schnell Zutritt verschaffen. Aber da war kein Motorrad. Ihr kostbarer Schatz wurde an einem anderen Ort gefangen gehalten.
Ohne zu zögern, ging Flame auf das Haus zu. Da die Stufen unter ihrem Gewicht ächzten, wich sie augenblicklich zurück und umkreiste die geräumige Veranda vor der Tür auf der Suche nach einem Weg, der aufs Dach führte. An höher gelegenen Orten fühlte sie sich immer wohler als auf dem Boden. Sie stieg an der Seite des Hauses hinauf und benutzte das Geländer der Veranda und das Dach, um mühelos ins erste Stockwerk zu gelangen. Sie kroch auf den kleinen Balkon und stellte fest, dass die gläserne Schiebetür nicht verriegelt war.
Flame schob die Tür gerade so weit auf, dass sie lautlos durch den Spalt schlüpfen konnte. In gebückter Haltung betrat sie das Zimmer, hielt sich dicht an der Wand und schloss die Tür lautlos hinter sich. Sie rührte sich nicht von der Stelle und wartete, bis sich ihre Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Das Zimmer roch nach Gardenien und Lavendel. Ein roséfarbenes Laken bedeckte eine grauhaarige Frau, die in dem Himmelbett schlief. Sie wirkte auffallend zerbrechlich, und Flame fragte sich finster, warum Whitneys Jäger sie zu Zivilisten geführt hatte – es sei denn, er hatte den Jeep gestohlen.
Flame bewegte sich mit großer Vorsicht, denn sie wollte nicht, dass die Bodendielen quietschten, während sie sich durch das Zimmer zur Tür schlich. Links neben der Tür stand eine Frisierkommode mit einer altmodischen Garnitur aus Bürste und Spiegel und etlichen Bildern. Flame warf einen schnellen Blick auf die Fotografien und versuchte, im Dunkeln Gesichter zu erkennen. Das hier war ein privates Wohnhaus. Es war ganz im Stil des Bayou gehalten, aber es roch nach Geld. Im Lauf der Zeit war die Familie irgendwann zu einem gewissen Wohlstand gelangt. Sie fragte sich, ob das Geld von Whitney stammte, der Gator bestochen hatte, sie aufzuspüren und sie zu ihm zurückzubringen.
Hatte Gator auch Jagd auf Dahlia gemacht? Die arme Dahlia.
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