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Täuscher

Täuscher

Titel: Täuscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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Anklagebank.
    Langsam kehrt Ruhe ein. Die Verhandlung beginnt durch Aufrufung der einzelnen Zeugen und ihre Belehrung durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kammerer. Die meisten der über sechzig Zeugen werden danach vorläufig entlassen und nach Hause geschickt, nur sechs von ihnen sollen vor der Tür des Sitzungssaals warten.
    Nun folgt die Verlesung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft, im Saal herrscht angespannte Aufmerksamkeit, selbst das Fallen einer Nadel wäre zu hören. Die Anklage lautet für Täuscher auf zweifachen Mord in Tateinheit mit Raub, für Schinder auf schwere Personen- und Sachhehlerei.
    Schinder ist weiter gelangweilt und desinteressiert, er blickt auf seine Hände, mustert eingehend seine Fingernägel, sieht sich im Saal um. Auch Täuscher macht den Eindruck, als würde er den Ausführungen des Staatsanwalts kaum folgen. Er sitzt da, steif, mit regungsloser Miene, den Blick geradeaus. Von der Anklagebank aus kann er aus dem Fenster auf der anderen Seite des Sitzungssaals blicken. Als der Staatsanwalt mit großer Eindringlichkeit über das Sterben der beiden Ganslmeier berichtet, zeigen beide Beschuldigten nicht die geringste Regung. Sie bleiben selbst dann noch ungerührt, als die Qualen der Opfer bis zum Eintreten des erlösenden Todes ausführlich und detailliert beschrieben werden.
    Erst während der anschließenden Befragung löst sich Täuscher ein wenig aus seiner Starre. Zäh und stockend gibt er Auskunft. Er verneint das Auftreten von Geisteserkrankungen in der Familie, berichtet, wie er mit vierzehn Jahren in das väterliche Geschäft eintrat, und davon, dass er mit achtzehn zum Militär kam. Langsam redet er sich warm, seine Wangen röten sich, etwas Farbe kommt in sein bleiches Gesicht. Er wagt es aber immer noch nicht, in den Zuschauerraum zu blicken. Auf seine Zeit beim Militär angesprochen, erzählt er von seinen Eindrücken und von der Angst, die er im Feld empfunden hat. Er verschweigt nichts, auch nicht, dass gegen ihn während des Krieges ein Verfahren wegen Fahnenflucht anhängig war. Auf dem Weg zurück an die Front nach Frankreich hatte er sich von seiner Truppe entfernt und war drei Tage später in einem völlig verwirrten und abgerissenen Zustand aufgefunden worden. Aufgrund dieses Vorfalls wurde er damals auf seinen Geisteszustand hin untersucht.
    »Aber sie haben mich für gesund befunden«, wie er nicht ohne Stolz hinzufügt, und weiter: »Am Umsturztag 1918 bin ich ganz regulär vom Militär entlassen worden, und am nächsten Tag arbeitete ich wieder im Geschäft meiner Eltern.«
    »Sie haben ja auch Ihre Ausbildung dort gemacht – wie sind Sie mit Ihrem Vater zurechtgekommen?«, will der Richter von ihm wissen. Täuscher, überrascht von der Frage, fängt an, sich zu winden, stockt.
    »Wie man so auskommt.«
    »Sind Sie mit ihm ausgekommen oder eher nicht?«
    »Es … ging.«
    »Das ist mir zu vage. Möchten Sie uns das nicht etwas genauer erläutern?«
    »Mit dem Vater … da … bin ich nur teilweise gut ausgekommen.«
    Der Richter lässt nicht locker, hakt nach.
    »Mein lieber Herr Täuscher, das reicht mir nicht aus. Das möchte ich etwas genauer wissen. Warum sind Sie mit dem Vater nicht gut oder nur, wie Sie sagen, ›teilweise gut‹ ausgekommen?«
    »Ich … ich weiß nicht … was hat mein Verhältnis zu meinem Vater mit der Sache hier zu tun? Das geht keinen was an, das ist nicht von Belang.«
    »Da irren Sie sich. Es geht uns sehr wohl etwas an. Hier wird über Sie und Ihre Tat verhandelt. Da gibt es nichts, was ›nicht von Belang‹ wäre.«
    »Zu meiner Familie will ich nichts sagen.«
    »Sie verweigern also eine Aussage hierzu?«
    »Ja.«
    Vereinzelt werden Rufe laut, die Unruhe in den Reihen der Zuschauer nimmt zu, bis der Vorsitzende Richter Dr. Kammerer endlich energisch um Ruhe bittet. Auch nachdem es im Saal wieder still geworden ist, zeigt sich der Angeklagte weiter verschlossen. Als die Veruntreuung der Gelder aus dem Unternehmen des Vaters im Jahr 1919 zur Sprache kommt, ist es ganz aus. Die Gesichtszüge des Angeklagten verhärten sich, und er blickt wieder starr aus dem Fenster.
    »Ich möchte, dass Sie uns zuhören, Herr Täuscher. Hier wird über eine ernste Sache verhandelt, also spielen Sie jetzt nicht den Beleidigten.«
    Der tut, als ginge es ihn nichts an, als wäre er nur einer der im Saal anwesenden Besucher.
    »Herr Täuscher, ich spreche mit Ihnen! Ich habe Sie etwas gefragt!«
    Keine Reaktion.
    »Herr Täuscher, wir

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