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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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leben, bei mir bleiben.«
    Aber er war nicht bei ihr, egal, wie sehr sie es sich wünschte. Sie blickte auf zum Himmel und sah diesen nicht. Die Dornenranken um sie herum schienen sich zu vermehren, um jeden totzustechen, der sich dem Ort nähern wollte.
    »Ash!«, brüllte sie, weil sie nicht wusste, nach wem sie sonst rufen sollte. Dann wusste sie es doch. »Friedbert!«
    Das rosa schimmernde, nach Windspiel klingende Wölkchen Staub erschien, noch bevor ihr Ruf verhallte. Die Fee nieste, und die feinen Partikel flogen auseinander wie aus einem geplatzten Staubsaugerbeutel.
    »Friedbert. Du bist tatsächlich da. Du hast mich gehört!«
    »Was soll ich gehört haben? Ich bin hier, weil ich gewisse Schwingungen nicht abschütteln kann …« Erst jetzt sah er Gallagher. Für einen Augenblick vergaß er, mit den Flügeln zu schlagen, weswegen er ein Stück abstürzte und sich erst über dem Dorn, der ihn fast aufgespießt hätte, wieder fangen konnte. Die Sommersprossen blinkten wie Alarmlichter, die Stimme – ein einziges Pulsieren. »Lebenszeichen?«
    »Ich weiß es nicht. Bin mir nicht sicher.«
    Friedbert rieb die Hände aneinander, bis die Magie dazwischen zu knistern und zu funken begann. Schließlich breitete er die Arme aus und flog über Gallaghers Körper auf und ab. »Waren die Rosenbüsche schon vorher hier?«
    »Ich weiß es nicht. Lebt er?«
    »Nicht auf natürliche Art und Weise. Das verstehe ich nicht.« Friedbert sah sich um. »Er kann sich doch unmöglich hier in der Pampa an einem Bleistift … Verdammt!« Er schwebte zu Boden, zerrte etwas zwischen den Ranken hervor und kam prustend und schwankend wieder in die Höhe. In den Armen – ein angespitzter Bleistift. »Bei Tinkerbell, ist das deiner?«
    »N-nein.«
    »Lüg mich nicht an!« Der Stift glitt aus seinen Armen und verschwand im Dornendickicht. »Natürlich ist das deiner! Und jetzt sag mir, was ihr hier wolltet, am Arsch der Welt und dazu noch mit einem Bleistift!«
    »Ich weiß nicht, was er hier wollte!«, rief sie, und ihr Atem warf Friedbert ein Stück zurück. »Ich war nicht bei ihm.« Eine Ahnung nistete sich in ihr ein. Sie drehte Gallaghers Hände um. Zwei Schnitte – einer von der Glasscherbe, der andere von dem Ritual. Daneben eine Stichverletzung. Kaum erkennbar, kaum gefährlich.
    Friedberts Sommersprossen verflossen auf seinem pummeligen Gesicht und ähnelten winzigen Leichenflecken. »Wie konnte das passieren? Er hatte doch noch Zeit gehabt. Ich hatte den Fluch aufgeschoben, es hätte nicht …«
    »Er hat kürzlich Magie gewirkt, mit der Energie des Fluches.«
    »Und du hast ihn davon nicht abgehalten?« Er schrie wieder.
    »Er dachte, das wäre die einzige Möglichkeit, eine Spur …«
    »Er dachte, er dachte«, äffte Friedbert sie nach. »In manchen Situationen denkt er grundsätzlich mit … ach, ich weiß auch nicht, womit, aber nicht mit dem Verstand.«
    Sie ließ Gallaghers Hände los. »Es ist ein Dornröschen-Fluch, nicht wahr? Wusste er davon?«
    »Man darf es dem Verfluchten nicht sagen, das würde ungeahnte Folgen nach sich ziehen. Aber du hast recht. Deshalb war es mir unmöglich, den Fluch aufzulösen. Man konnte nur warten, bis er sich erfüllt. Was in 98 % der Fälle tödlich endet.«
    »Aber bei den restlichen zwei Prozent bricht der Kuss der wahren Liebe die Magie«, erinnerte sie sich.
    Wahre Liebe! Wie hatte sie damals in der Akademie gekichert, als in einer Unterrichtsstunde die Ur-Flüche durchgenommen wurden! Zum Glück nicht nur sie allein, denn so viel Pathos war nicht einmal für einen gefühlskalten Dämon zu ertragen.
    Jetzt kicherte sie nicht.
    »Der Kuss der wahren Liebe!« Friedbert schnaubte verbittert, mit abgewandtem Gesicht, hängenden Armen und Beinen, die, als wären sie aus Stoff, in der Luft baumelten. »Ja«, murmelte er. »Der bricht alles. Vor allem die Herzen.«
    Sie beugte sich über Gallagher, hob seinen Kopf etwas an und senkte ihren Mund auf seine Lippen. Sie zitterte, nicht vor Anstrengung, aber vor Verzweiflung.
    So kalt. So leblos.
    Sie küsste fester, küsste so lange, bis ihre Lippen taub wurden.
    Sie küsste den Tod.
    »Es funktioniert nicht. Warum funktioniert es nicht?«, stammelte sie und versuchte es erneut. Seine Wangen waren nass von ihren Tränen. Sie küsste, bis sie zu ersticken begann, an ihren Weinkrämpfen, an ihrem Schmerz.
    »Hör auf«, vernahm sie Friedberts Stimme und spürte an ihrem Ohr den zarten Luftzug seiner Flügel.
    »Nein. Ich weiß, dass es

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