Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
zielte.
» Na mach schon! «, zischte sie ihn an.
Piazzollas Oblivion strömte aus dem Nirgendwo in ihren Gehörgang und verwandelte sich in eine Kakofonie aus keifenden, wütenden Tönen. Durch das Mauerwerk nahm sie die Schritte des Predigers am anderen Ende des Bahnhofs wahr, die ihre Stirn durchdrangen und ihren Verstand niedertrampelten. Sie saugte das Gestöhne der Elenden auf und die letzten Atemzüge derer, die dem Leid nachgegeben hatten.
Alessas kühle Finger drückten auf eine Stelle nahe dem Rückgrat und verharrten dort.
Es musste wehtun! Jetzt. Sofort.
Aber es tat nicht weh. Der Körper, in den sich die Messerspitze bohrte, schien jemand anderem zu gehören.
»Du blutest nicht.«
Sie wurde umgedreht. Hände befühlten ihre Wangen.
»Hast du Fieber?«
»Quatsch. Von dem bisschen Vampirsabber?« Sie strich sich über den Hals. Ihre Fingerspitzen fuhren über die aufgedunsene Bisswunde, die sich heiß und fest wie Knorpel anfühlte. »Die Wirkung wird bald nachlassen.«
»Vampire. Ja.« Mit dem Absatz ihres Schuhs zertrat Alessa die beiden Transponder, während ihr Blick Zarah durchbohrte. »Woher wusstest du, dass zu unserer Bewachung Vampire eingesetzt wurden?«
»Weil das beim Gefangenentransport immer so ist.«
»Und den Wächter hast du – womit erledigt?«
»Eschen-, Espen- oder Eichenholz ist sehr wirkungsvoll gegen die Verwandelten.«
»Da bin ich aber gespannt, wo du den Pflock, den du ihm ins Herz gerammt hast, versteckt hattest, sodass keiner ihn bei der Durchsuchung gefunden hat.«
»Ist das ein Verhör?«
»Eine Unterhaltung.«
»Ach so? Ich habe dich da rausgeholt, wenigstens ein ›Danke‹ wäre angebracht gewesen.«
»Nachdem du mich zuerst genau da reingeritten hast. Danke trotzdem. Was hast du im Archiv überhaupt gemacht?«
»Anscheinend dasselbe wie du und dein Freund.«
»Und das alles sicherheitshalber mit einem Pflock ausgestattet, der nicht gefunden werden kann?«
»Doch nicht mit einem Pflock! Und nicht ins Herz! Eine Verletzung des Bauchnabels zeigt ein nicht weniger verheerendes Ergebnis. Da reicht schon ein Splitter, der unter die Haut geht. Soll ich vielleicht anfangen zu hinterfragen, warum du ganz zufällig eine Kette getragen hast, die du im entscheidenden Moment so gut für den Zählzwang eines Verwandelten einsetzen konntest?«
»Okay, Mrs. Van Helsing.« Alessa kramte in einem Mülleimer und grinste schief, als sie darin einen Draht fand. »Hast ja recht. Ich hinterfrage auch nicht, warum ich so schnell einen Dietrich für unsere Handschellen gefunden habe. Manchmal hat man einfach Glück. Gleich hast du mich los, versprochen.«
Oh nein. Nicht schon jetzt!
Dabei wollte sie sich doch mit ihr anfreunden. Musste das Mädchen noch so vieles fragen. Zum Beispiel, warum seine Mutter wirklich sterben musste, was mit Ash damals nach dem Formwandlerangriff genau passiert war, was Gallagher … nein, Letzteres wollte sie ganz sicher nicht fragen. Sie sollte aufhören, stets an ihn zu denken.
Geschickt öffnete Alessa die Schlösser und warf die Fesseln beiseite. »Das war’s dann. Ich hoffe, unsere Wege kreuzen sich nicht wieder. Denn jedes Mal, wenn du in meinem Leben auftauchst, geht alles schief.« Das Menschenlächeln erschien selbstsicher auf ihren Lippen, obwohl ihre Stimme kaum wahrnehmbar bebte.
Zarah atmete auf. Nein, noch war es nicht vorbei. Abbas hatte vorgesorgt.
Sie sah zu, wie das Mädchen sich abwandte und ging. Zählte erneut die Sekunden.
Alessa stolperte. Ihre Schritte wurden unsicherer, bis sie taumelte und sich an eine Wand lehnte.
»Verdammt …« Ihre Beine knickten ein. Die ausgestreckten Arme fingen den Sturz ab, konnten den Körper jedoch nicht halten. »Was … was ist mit mir los?«, stieß sie gepresst hervor.
Hundertfünfundzwanzig, hundertsechsundzwanzig …
Und dann, endlich: »Hilf mir. Bitte.«
1 3
Zarah beugte sich zu dem Mädchen und lauschte seinem pfeifenden Atem. Durch die zerzausten Haarsträhnen schimmerte die bleiche Haut seines Halses. Die Sehnen waren wie Saiten gespannt. Ein kleines, zitterndes Knäuel Mensch.
Sie half Alessa auf und lehnte das Mädchen mit dem Rücken gegen die Wand. »Ich heiße Zarah. Meinst du nicht, wir sollten zusammenhalten. Freunde?«
»Lessa. Sicher … weißt du das. Was … geschieht mit mir?«
»Orientierungslosigkeit, Bewusstseins- und Sprachstörungen, leichte Krämpfe – höchstwahrscheinlich haben wir es mit einem Ortungszauber zu tun.«
Alessa nickte, was eher
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