Tag der Entscheidung
Bart eines Stammesoberhauptes. Den Talismanfiguren nach zu urteilen könnte er der Oberhäuptling höchstpersönlich sein.«
Mara unterdrückte ihre Überraschung. Sie hatte eine große, aufsehenerregende Person erwartet, keinen gewöhnlichen Mann in einem schmucklosen grünen Kilt. Die Schüssel, aus der er aß, bestand aus ungeschliffenem Holz, sein Löffel war ein mitgenommenes Werkzeug aus Corcara. Die Lady der Acoma war so erstaunt über das Fehlen von zeremoniellen Rangabzeichen, daß ihr die anderen Männer, die in einem Halbkreis saßen, fast entgangen wären, zumal ihre Unterhaltung beim Eintritt der Gruppe verstummt war und sie im Schatten saßen.
Eine Zeitlang starrten die hereinkommenden Thuril und ihre Gefangenen auf die Sitzenden, die ihrerseits zurückblickten und die Mahlzeit, an der sie kaum einen Augenblick zuvor gegessen hatten, völlig vergaßen.
Erstaunlicherweise war es die alte Frau, die mit dem Karden der Wolle aufhörte und das Schweigen brach. »Du könntest sie vielleicht fragen, was sie wollen.«
Der Mann mit dem Schnauzbart des Stammesoberhauptes drehte sich in seinem Stuhl um und deutete mit dem Löffel in ihre Richtung. Bratensaft spritzte aus der Schüssel und fiel mit einem Zischen in die Kohlen. »Halt den Mund, alte Hexe! Du mußt mir nicht sagen, was ich zu tun habe!«
Als Mara, verblüfft über das Fehlen von Anstand und einer formellen Begrüßungszeremonie, die Stirn runzelte, drehte sich das Oberhaupt der Thuril zu ihr um. Die Perlen an dem Schnurrbart wippten klappernd, als er mit einem kurzen Ruck seines Kinns auf Saric deutete, der am nächsten stand. »Was willst du, Tsurani?«
Wenn Saric wollte, konnte er ein Meister in irreführender Mimik sein. In dem schwachen Licht der Kohlen sah er aus wie eine Statue, und es war, als hätte sich der Thuril-Häuptling an leere Luft gewandt.
Mara ergriff die Gelegenheit und trat vor. »Ich bin in Euer Land gekommen, weil ich Informationen suche«, sagte sie in die Stille hinein.
Der Oberhäuptling erstarrte, als sei er geschlagen worden. Sein Blick flog zu der Lady, die vor ihm stand, wich dann zur Seite. Er starrte über ihren Kopf hinweg, so daß ihm das breite Grinsen Antahas und der anderen Krieger der Eskorte nicht entging.
»Ihr steht da und erlaubt einer gefangenen Frau, ungefragt zu sprechen?« brüllte er in einem Ton, als wäre er auf dem Schlachtfeld.
Nicht im geringsten verblüfft, obwohl seine Ohren von dem lauten Schrei noch dröhnten, drängte sich Saric vor und verbeugte sich trotz der gefesselten Hände mit größter Vollkommenheit. »Ehrenwerter Häuptling, Antaha verhält sich so, weil sie die Lady Mara von den Acoma ist, die Gute Dienerin des Kaiserreiches, verwandt mit dem Kaiser von Tsuranuanni.«
Der Häuptling strich sich über den Schnurrbart und fingerte an den Perlen herum. »Ist das so?« Die hölzernen Teller und Löffel klapperten, als seine Gefährten ihr Geschirr niederlegten.
»Wenn diese Frau tatsächlich die Gute Dienerin ist, wo sind dann ihre Banner? Ihre Armee? Ihr großes, glanzvolles Kommandozelt?« Hohn klang in der tiefen Stimme des Häuptlings. »Ich habe gesehen, wie tsuranische Adlige reisen, wenn sie in fremden Gebieten sind! Sie tragen ihren halben Besitz mit sich herum, als wären sie Händler! Ich behaupte, du lügst, Fremder. Oder warum wird sie« – er machte eine abfällige Geste in Maras Richtung – »nur von wenigen Wachen begleitet? Schließlich sind wir für euch immer noch ein feindliches Land.«
Bei dieser Bemerkung runzelte die alte Frau auf der Bank die Stirn. »Warum fragst du sie nicht selbst? Sie hat gesagt, sie sucht Informationen. Es muß sehr wichtig für sie sein.«
»Halt deine große Klappe, altes Weib!« Seine Entrüstung hatte etwas Explosives, als der Häuptling seine Hand, in der noch immer eine Brotkruste steckte, in Maras Richtung stieß; niemals würde er Mara direkt ansprechen. »Wir sind nicht die Barbaren, für die ihr Tsuranis uns haltet.«
Mara verlor die Beherrschung. »Seid Ihr das nicht?« Wie sehr wünschte sie sich, die Sprache der Thuril zu sprechen! So, wie es stand, mußte ihre eigene genügen. »Und nennt Ihr es zivilisiert, meine Ehrengarde in einem Viehpferch unterzubringen? In meinem Land müssen nicht einmal Sklaven so schäbig leben!«
Dem Häuptling verschlug es den Atem, und das glucksende Lachen Antahas und seiner Krieger machte ihn verlegen. Er räusperte sich. »Ihr habt mich um Informationen gebeten …« Seine Augen
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