Tag der geschlossenen Tür
sie dort ebenfalls Handys. Vielleicht ist sie ja auch auf einer Kontaktseite und schwebt unter Traumprinzen, die sie von hier entführen könnten? Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah, Liebste? Schließlich reiße ich mich zusammen, hole einmal tief Luft und gehe zu ihr an den Tresen. Sie hebt ihren Blick, und ich bin kurz davor, mich am Tischrand festzuhalten, um nicht von der Sogkraft ihrer Pupillen in sie hineingesaugt zu werden wie in zwei Mahlströme. Oder wie in die Turbinen einen startenden Jets. Sie lächelt mich automatisch an, und wie immer, wenn sie das tut, legt sich ihre Stirn ein wenig in Falten, sodass sich in ihr Lächeln die Note einer Befürchtung mischt. Ich bin schon wieder ganz zerschmolzen.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Ich …«
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
»Na ja, eigentlich schon, ja, ich suche etwas Bestimmtes …«
»Und wie kann ich Ihnen dabei helfen?«
»Tja … ich suche ein Handy …«
»Da sind Sie bei mir richtig.«
Sie lacht mich kurz und unverbindlich an. Ihre Zähne lassen auf perfekte Körperhygiene und einen nicht gerade lustorientierten Alltag schließen, so weiß und perfekt, wie sie strahlen.
»Wissen Sie, ich bin völlig neu in dem Metier, wenn Sie mir ein Handy verkaufen, müssen Sie mir aber auch eine Nummer geben, damit ich Sie anrufen kann, wenn etwas nicht funktioniert. Und natürlich damit ich jemanden hab, mit dem ich telefonieren kann.«
Ein sinnloser Versuch, eine flirtige Unternote in das Gespräch zu bringen, der von ihr berechtigterweise ignoriert wird: »Oh, das ist überhaupt kein Problem, ich gebe Ihnen unsere Servicenummer und die Nummer unserer Filiale, dann können Sie uns jederzeit erreichen.«
Sie lächelt wieder. Wenn sie mich schon so anlächelt, wie mag sie jemanden anlächeln, den sie wirklich mag? Marion. Jetzt haben wir Kontakt. Jetzt stehen wir hier und reden miteinander. Spürst Du das auch? Spürst Du unsere Verbundenheit? Die Möglichkeiten, die es für uns gibt, fühlst Du sie? Kannst Du Deine glatte Maske fallen lassen und Dich geben, wie Du wirklich bist? Zeig mir Deine Hässlichkeit, Deine Verletzlichkeit, Deine Trauer und Deine Zerbrochenheit, vor mir brauchst Du keine Angst zu haben, nur bitte – offenbare Dich jetzt.
Sie berät mich etwa eine halbe Stunde, führt mir Handys und Vertragsmodelle vor, und ich lasse mich von ihr durch ihre Welt führen, achte auf ihre Stimme, auf ihre Mimik und Gestik, versuche sie zu riechen, was mir nicht gelingt, möchte ihr mit der Hand eine Haarsträhne hinters Ohr streichen, unterlasse es, ich möchte nichts vorwegnehmen. Schließlich ist der Vertrag geschlossen, und ich halte einige Papiere und einen kleinen Karton mit dem Telefon in den Händen. Es ist alles gesagt und getan. Wäre jetzt nicht der Moment für etwas Persönliches?
»Marion, ich habe Ihre Beratung sehr genossen.«
»Oh, vielen Dank, ich freu mich, dass ich Ihnen helfen konnte. Also auf Wiedersehen, und wenn Sie Probleme haben – rufen Sie jederzeit durch, wir sind für Sie da …«
Oder ist da doch nicht mehr als das, was sie vor sich her trägt? Kann es sein, dass sie ganz und gar so ist, wie sie auch in ihrem Beruf erscheint? Das kann ich mir nicht vorstellen. Alle Menschen tragen Masken und haben dahinter eine andere Seite. Marion Vossreuther, wo ist Deine andere Seite? Ist Dir Deine andere Seite abhandengekommen?
Auf dem Weg nach Hause komme ich an einem kleinen Park vorbei. Man kann von der Straße aus gut zwischen den Bäumen hineinschauen. Dort ist ein Platz mit einem Springbrunnen und ein paar Bänken. Auf der anderen Seite des Parks steht Rauch zwischen den Bäumen. Er steht dort ganz still. Ich bleibe stehen, um ihn zu beobachten und um sicher zu sein, dass ich mich nicht täusche. Ich nähere mich langsam. Zwischen zwei Linden hängt in einigen Metern Höhe eine kleine Rauchwolke. Zwar geht kaum ein Wind, aber die Luft bewegt sich eigentlich ja immer ein wenig. Die Wolke bleibt ganz fest an ihrem Platz. Ich nähere mich noch ein bisschen. Ich nehme einen kleinen Stein vom Boden auf und werfe ihn auf die Wolke. Er durchdringt sie und fällt auf der anderen Seite ins Gebüsch. Die Wolke steht unverändert in der Luft. Ich setze mich auf eine Parkbank und beobachte sie. Mir ist nicht wohl, ich schwitze leicht. Nichts verändert sich. Muss ich mir Sorgen machen? Und wenn – um wen? Um mich oder um die Wolke?
Nach einer Weile gehe ich weiter.
Soldaten der Kunst
E
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