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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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Farben Verwebende. Und dem Lichte Zustrebende. Sich der Ruhe Ergebende. Bald vor Schönheit Erbebende. Bin der ewige Klebende. Und der einzige Lebende. Die Größe und die Form der Räume verändern sich zusehends. Fließende Figuren klettern mit dem Stand der Sonne über die Regale und Wände, dunkle Spalten queren den Raum, und helle Flecken betonen Punkte im Zimmer, die bis dahin keine Bedeutung besaßen. Das Licht ist schwummrig, hat aber mehr Wärme als vorher. Ich lösche am späteren Nachmittag alle elektrischen Lichter und klebe weiter Schicht für Schicht auf die Scheiben. Nur im Zentrum der Fenster lasse ich einen schmalen Ritz, um hindurchschauen zu können. Um das Wetter zu testen. Es gibt dort sowieso nichts zu sehen, außer der tristen Fassade des gegenüberliegenden Mietshauses mit den ewig geschlossenen Gardinen und den stumm wandernden Schatten dahinter. Meine Räume verwandeln sich in geheime Gärten, ich kann mich kaum noch zurechtfinden. Wenn ich die Augen halb schließe, befinde ich mich in einer fremden Landschaft. Fremd im eigenen Heim. Auch die Idee, kein elektrisches Licht mehr zu benutzen, beflügelt mich. Mit dem letzten Fleckchen am Badezimmerfenster, das ich mit gelber Seide versiegele, heiße ich mich willkommen in einem neuen Abschnitt meines Daseins. Abgeschottet von der Einwirkung des natürlichen Lichts und fern der profanen Welt in einem uneinsehbaren Zaubergarten, möchte ich mein Leben in den kommenden Jahrzehnten beschließen. Ich werde mir vom »Restaurant vier Tafeln« das Essen auf Rädern bringen lassen, Speisen aus aller Herren Länder, angerichtet, um mir, dem Herrscher der Klebenden, den Abschied aus der Welt zu versüßen. Und dann werde ich warten, um das Ende in vollem Bewusstsein erfahren zu können, werde Bruder Hein hereinbitten und ihm festen Auges ins Antlitz schauen, ihm die Hände geben und unserer Vermählung zustimmen. Was gäbe es da draußen denn noch zu erleben, was sich mit dem hier drinnen messen könnte? Mit der Ruhe, der Klarheit, der Kontemplation, der Konzentration und der Kraft meiner Vorstellung? Und was bringt mir die Berührung mit anderen Menschen? Diese kurzen, flüchtigen Touchierungen, das Absondern von Oberflächlichkeiten, dürre Wortgebilde lösen schwache verbale Reflexe beim Gegenüber aus, das Vermengen der äußeren Bakterienschichten, das Einatmen der fremden Ausdünstungen, kleine Oxytocinschübe führen zu spontanen Begattungen und so zu immer neuem Elend, der Verelendung unserer Welt durch immer neues Leben. Ich lungere vor dem Kühlschrank herum wie ein Junkie vor dem Bahnhof. Als würde sich gleich die Tür öffnen und ein Dealer mit frischem Stoff auf mich zukommen. Es wäre schön, nach dem Öffnen der Tür ein anderes Bild vorzufinden als das, das ich erwarte. Das mich erwartet. Mit einer überraschenden Handbewegung öffne ich den Kühlschrank. Für einen kurzen Augenblick schaue ich in das Gesicht einer jungen, schönen Frau. Was macht diese Frau in meinem Kühlschrank? Dann erkenne ich dort etwas ganz anderes. Eine halbe Zitrone, H-Milch, Mayonnaise, eine alte Pfanne mit schrumpeligen Eierresten. Das ist auch ein Teil der Wirklichkeit. So schön mein Ressort jetzt auch sein mag, mir gehen die Energiereserven aus, und das »Restaurant vier Tafeln« wird heute nicht liefern. Schon allein deshalb, weil der Lieferant nicht im Auslieferungsbetrieb tätig ist. Ich muss wohl oder übel die Wohnung verlassen. So schnell ist meine innere Emigration gescheitert. Ich schaffe es einfach nicht, mich aus dem Weltgeschehen herauszuhalten. Der Satz könnte auch von Napoleon sein. Nur aus anderen Gründen.
    Ich verlasse also das Haus, um ein paar Einkäufe zu tätigen. Zielstrebig lenken mich meine Schritte in die Innenstadt. An den großen Verkaufshäusern vorbei, zu dem kleinen Handyladen, der eingezwängt zwischen ihnen liegt. Ist sie schon dort? Marion Vossreuther, schöne, erhabene Spinne im Netz von O2. Werde ich sie in meinen Sinnesgarten der wandernden Farben entführen können? Wie immer steht sie hinter ihrem Tresen und schaut auf ihren Flatscreen. Du bist so viel mehr wert als das, Marion!
    Ich betrete langsam den Laden, stehe zu den Regalen gewandt, schaue mir die langweiligen neuen Handys an, ununterscheidbare Produkte, die sich durch jämmerliche Gimmicks versuchen aus der Masse der zu Tode designten Gegenspieler hervorzuheben. Marion hat mich noch nicht bemerkt, sie hängt ganz konzentriert im Nichts, wahrscheinlich betrachtet

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