Tag der geschlossenen Tür
s ist ein trüber Morgen. Ich zwinge mich aus dem Bett und zur Initiative. Ich rufe bei Nowak an. Es klingelt lange, schließlich hebt er ab, er klingt mürrisch.
»Morgen, Nowak, Sonntag hier.«
»Morgen …«
»Sag mal, was ist eigentlich mit unserem ›Restaurant vier Tafeln‹?«
»Na, was soll schon damit sein?«
»Müssen wir nicht mal wieder ausliefern?«
Eine kurze Pause, ich höre Nowak gelangweilt schmatzen.
»Wir können nur ausliefern, wenn auch einer was bestellt. Und wegen nur einer Bestellung schick ich dich doch nicht extra los, oder?«
Er schmatzt wieder.
»Mit anderen Worten – bis jetzt kam nur eine weitere Bestellung rein?«
»Pass auf, ich hab mir Folgendes überlegt: Wir sammeln die Bestellungen einfach. Wenn ich vier oder fünf zusammenhabe, ruf ich dich an, und du fährst los. Okay?«
»Ja, aber dann ist die erste Bestellung ja eventuell schon Tage alt.«
»Na und, was kann ich denn dafür? Ist doch nicht meine Schuld!«
»Nowak, jetzt bleib mal ernst!«
»Was! Im Ernst – ist das meine Schuld? Wenn die ganzen Assis da draußen sich nicht entscheiden können, gleichzeitig zu essen, so wie man das normalerweise in jeder guten Familie macht.«
»Alles klar, Nowak. Ruf mich an, wenn du fünf Bestellungen zusammenhast. Ich warte hier so lange. Also, mach’s erst mal gut.«
Er antwortet nicht, ich höre Kaugeräusche. Je länger ich zuhöre, desto vernehmlicher und gleichgültiger wird sein Schmatzen und Schlürfen. Es klingt abstoßend. Es ist seine Art, auf Wiedersehen zu sagen. Ich lege auf. Den kann ich erst mal abschreiben. Gefangen in den Klauen der Agonie. Ein Meister im Erfinden von Ausreden für den ewigen Stillstand. Genau wie ich. Aber im Gegensatz zu ihm ist mir dieser Zustand bewusst, ich habe mich für ihn entschieden, denn ich bin: der Verschieber!
Ich muss mir meinen Lebensinhalt selbst kreieren. Ich darf nicht darauf warten, von den überflüssigen Ideen anderer abhängig zu werden.
Ich blättere orientierungslos in einigen abgegriffenen Kunstbänden, die ich für wenig Geld in meinem Lieblingsantiquariat erstanden habe. »Grandville: Aus einer anderen Welt«. Was für wundervolle Zeichnungen. Was für abstruse Phantasien. Aber das hat dem guten Grandville auch nicht geholfen, verrückt ist er geworden. Das wird mir eines Tages auch passieren. Eine Brise weht durch mich hindurch. Dann weiß ich auf einmal, was mein nächster Beruf sein wird: Ich werde Museumswärter. Was gibt es Besseres, als den ganzen Tag zwischen weltbekannten Kunstwerken herumzustehen, sie in aller Ruhe mustern zu können, eine saubere und gepflegte Uniform tragen zu dürfen und dafür auch noch bezahlt zu werden? Aktionslust und ein leichter Schimmer von Hoffnung beleben mich. Ich habe ein Ziel. Spontan mache ich mich auf, um die Kunsthalle zu besuchen. Ich genieße den feinen Sprühregen auf dem Weg zu meiner neuen Profession. Es ist noch früh am Tag, nur eine Schülergruppe steht vor dem Museum, angeführt von einem gestressten Lehrer. Ein paar ältere Damen betreten gerade die Eingangshalle. Ich warte geduldig, bis sie ihren Eintritt bezahlt haben, und stelle mich dann räuspernd vor die Kassendame.
»Guten Tag, ich habe eine Frage.«
»Nur zu, worum geht es denn?«
»Ich würde gerne von Ihnen wissen, wie man sich bei Ihnen als Museumswärter bewerben kann.«
»Oh, junger Mann, da kann ich Ihnen zurzeit gar keine Hoffnungen machen. Ich vergebe zwar nicht die Stellen, aber ich weiß, dass wir eine lange Warteliste haben. Aber Sie könnten sich gerne in die Liste eintragen lassen.«
Eine Liste? Ich will kein Listenwartender sein. Ich bedanke mich, lehne freundlich ab, kaufe mir aber eine Karte, um mir trotz allem einen Eindruck über die Lage zu verschaffen. Langsam und mit dem Gefühl zu früh enttäuschter Hoffnung lasse ich mich durch die weiten Räume der »alten Meister« treiben. Die Bilder an den Wänden erscheinen mir wie Fenster in andere Zeiten, aus denen die Porträtierten als Beobachter in unsere Gegenwart schauen. Sie sind Zukunftsforscher, die es geschafft haben, mit den mystischen und visionären Mitteln der Kunst Periskope durch die Zeit zu schieben. Wer ist hier das Ausstellungsstück? Beide Seiten beobachten einander. Wir voller Bewunderung und Hingabe, sie mit ihren ewig gleichen Gesichtsausdrücken in vornehmer Zurückhaltung. Sie haben uns Jahrhunderte an Erfahrung, Wissen und Reife voraus. Stumme Lehrer. Wir sind ihre Zukunftsvision. In ihren Versenkungen
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