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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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Umständen kann ich nicht aufgeben, es wäre jetzt zu einfach zu versagen.
    Ich generiere einen Plan und begebe mich auf direktem Weg zum Kleidermarkt Humana, wo Altkleider pro Pfund verkauft werden. Dort suche ich mir mit etwas Geduld und durch ausgiebiges Wühlen eine dunkelblaue Gabardinehose, ein passendes Jackett, ein weißes Hemd und ein rotes Halstuch aus den Kisten. Die Sachen passen mir nicht richtig, irgendwie schlottern sie mir am Leib, was die Glaubwürdigkeit meines zukünftigen Angestelltenverhältnisses noch verstärkt. Ich bezahle keine zwanzig Euro für meine Uniform.
    Zu Hause bügele ich die Kleidung und fertige mir ein Schildchen fürs Revers an, auf dem mein Name stehen soll. Ich gehe meine Namenslisten durch, freue mich über das breite Repertoire und hämmere schließlich »Herr Luigi Lottkolder« mit der Schreibmaschine auf das Schildchen. Ich betrachte mich im Spiegel, rasiere mich dann, ziehe mir einen sauberen Mittelscheitel. Ich finde eine alte Brille in meinem Grabbelkarton, ein Stahlrahmenmodell meines Patenonkels. Damit sehe ich deutlich verändert aus, irgendwie erwachsen, was ich ja sowieso schon bin, aber häufig nicht in mir abgebildet finde. Ich werfe einen strengen Blick auf mein Spiegelbild. Ja, diesen Blick könnte ich glauben. Dann mache ich mich erneut auf den Weg zum Museum.
    Bevor ich es betrete, entferne ich das Namensschildchen und das Halstuch. Ich bin gespannt ob die Kassenfrau mich erkennt. Sie würdigt mich keines längeren Blickes, zu groß ist mittlerweile der Andrang der Besucher. Mit neuer Energie durchschreite ich die Flure des Museums, auf der Suche nach meinem zukünftigen Arbeitsplatz. Ich brauche einen Bereich, der nicht allzu stark frequentiert ist, um mich einzuarbeiten. In einem der kleineren Räume, in einem Seitenflur, in dem mittelalterliche Holzstiche und Radierungen ausgestellt sind, mache ich schließlich halt, der letzten Wärterin bin ich vor vier Räumen begegnet, in den nächsten zwei finde ich ebenfalls keine. Für einen Moment bin ich allein. Ich lege das Halstuch um und stecke mir das Schildchen ans Revers. Dann beginne ich mit meiner Arbeit. Langsam und gemessen schreite ich die Bilder ab, die Dielen knarzen unter mir, was die Glaubhaftigkeit meiner Profession deutlich erhöht. Ich bin Museumswärter, ich arbeite hier schon seit Jahren. Ein älteres Paar betritt den Raum, langsam gleitet es an den Stichen vorbei, er immer etwas näher an der Kunst als sie. Ich bewege mich in ihrem Rücken. Eine alte Dame betritt den Raum, sie schließt sich dem Paar an. Die drei reden leise, aber als sich die Nachzüglerin einmal zu nah zu einem Bild beugt, sehe ich meine Chance gekommen. Laut bellt mein Räusperer durch den Raum und trifft die respektlose Greisin im Nacken, sie erstarrt und zieht erschrocken den Kopf zurück. Als sie sich nach mir umschaut, werfe ich ihr einen strengen Blick zu. Die drei verlassen eingeschüchtert den Raum. Eingeschüchtert oder angewidert. Egal. Na bitte, geht doch. Wenn die sich schon danebenbenehmen wollen, dann nicht hier in meinem Raum. Das werde ich meinen Besuchern beibringen! Nicht in meinem Zuständigkeitsbereich! In anderen Räumen des Museums – meinetwegen, aber nicht bei mir! Als Nächstes durchfliegt ein junges Paar die Szenerie, sie bieten mir keine Angriffsmöglichkeiten, zu unaufmerksam begegnen sie der Kunst. Abstoßend. Schließlich betritt eine Schulklasse das Stichkabinett. Ich reibe mir innerlich die Hände und positioniere mich aufmerksam in der linken Ecke. Der Klassenlehrer bemerkt in mir sofort seinen natürlichen Feind und ermahnt die Klasse der etwa zwölfjährigen Schüler schon beim Eintreten zur Ruhe. Sofort breitet sich der Schwarm im ganzen Raum aus, und ich habe Mühe, die Übersicht zu behalten. Ärgerlich. Die meisten Schüler interessieren sich nicht für die Kunst, sondern bleiben plappernd in kleinen Gruppen irgendwo im Raum stehen. Drei Jungen nähern sich einem Holzstich, auf dem der Tod rücklings auf einem Esel reitend zu bestaunen ist. Einer der Jungen beugt sich vor, erhebt zeigend die Hand, ich sehe wieder meine Chance gekommen, schnelle vor, halte seine Hand fest und reiße ihn nach hinten. Erschrocken starrt der Junge mich mit offenem Mund an. Ich würde jetzt gerne mit ihm kämpfen und überlege, ob ich ihn umreißen und in den Schwitzkasten nehmen soll. Ich mag ihn nicht, ich verachte ihn, wie er da vor mir steht, in seinen lächerlichen Nike-Klamotten, dem kurz geschorenen

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