Tag der geschlossenen Tür
ich euch gesagt? Die Straße ist wieder da – so einfach geht das.«
Wir setzen uns konsterniert in das Auto, und Neunzehn fährt langsam an. Wir schaffen es ein paar hundert Meter, dann ist die Straße weg. Neunzehn springt fluchend aus dem Wagen, er ist jetzt sichtlich von denen genervt, die die Straße gesprengt haben, und schmeißt widerwillig einige Scheine in das nächste Loch vor uns. Sofort taucht die Straße wieder auf. Auch wir können es sehen. Aber die, die die Straße gesprengt haben und sie jetzt wieder auftauchen lassen, die bekommen wir nie zu Gesicht. Sonderbar und ärgerlich. Mit dieser kostspieligen Methode schafft es Neunzehn Löcher Joe, uns nach stundenlanger Fahrt schließlich nach Hamburg zu bringen. Neunzehnmal muss er halten, um die Straße zurückzukaufen und die Löcher zu stopfen. Als wir ankommen, ist seine Tüte leer, und der Morgen graut. Im ersten fahlen Licht kann die Straße nicht mehr verschwinden, und auch die Wirkung der Trips lässt langsam nach. Jeder in der Runde ist merklich geschwächt, dennoch verabschieden wir uns dankbar, aber auch verkatert von unserem Fahrer. Sein ganzes Geld hat er gesetzt, um uns vor dem Nichts zu retten. Freigekauft hat er uns aus den Klauen Mattocks, dem Gott des Wahns. Erst später erfahre ich, dass er den Rest des Tages damit verbrachte, die Strecke nach Travemünde abzufahren, um sein Geld zu suchen, das freilich schon längst abgesammelt oder vom Winde verweht war. Zu guter Allerletzt sei sein Auto dann auch noch in das Loch einer Baustelle eingebrochen und halb darin versunken.
Das Schicksal ist ein grausamer Bankier, es fordert jeden Cent zurück, den es in lauer Sommernacht verliehen.
Reinigung und Erwartung
D ie nächsten Tage bleibe ich zu Hause, um mich zu erholen. Dieser Ausflug markiert das Maximum meiner Erlebnisfähigkeit. Ich meine damit weniger den emotionalen Stress durch den Konsum psychoaktiver Substanzen als vielmehr die soziale Überdosis, ausgelöst durch die Synapsenmassage dreier Freunde und die Beobachtung diverser mich umgebender Fremder über Stunden. Ich hoffe, ich habe unserer Freundschaft auf mindestens ein Jahr genug an Fron geleistet. Gute Freunde soll man selten sehen, das steigert die Wiedersehensfreude.
Ich denke an die Frauen, die mich umgeben. Marion Vossreuther, schöner, sportlicher Engel, versunken im Treibsand des Kundenservices, in anderen Zeiten wärest du Fürstin eines kriegerischen Stammes gewesen, aber die Banalität der Gegenwart lässt dich im blauen Plastikkostüm einer Telefongesellschaft an einem Sperrholztresen in der Innenstadt versauern. Wie willst du da je aus eigener Kraft wieder herauskommen?
Nora, selbstbewusste und zielorientierte Beherrscherin meiner Lust, mit was für tristen Gestalten musst du sonst noch das Bett teilen, um an dein Geld zu kommen? Wie hältst du das auf Dauer aus? Wie kannst du es ertragen, dass fremde Menschen dich geifernd befingern, mit ihren muffigen Küssen besudeln und schließlich in einem totalen Übermaß an Nähe auch noch in dich eindringen? Und verachtest du mich genauso, wie ich mich selbst dafür verachte, dich auf diese Art zu sehen?
Zu guter Letzt Susanne, Stimme ohne Gesicht, von der ich so gut wie nichts weiß, was bist du für ein Mensch? Wirst du in meinem Leben eine Bedeutung haben?
Ich versenke mich in das Studium meiner Kunstatlanten. Höre Filmsoundtracks und lasse die Spielfilme mit geschlossenen Augen in meinem Kopf ablaufen, meistens mit einer selbst erfundenen Handlung. Suche Neuland auf der Gebläseorgel. Vor allem aber sitze ich an meinem Esstisch und versuche mich zu leeren. Mein Aufnahmevolumen zu dehnen. Mich vorzubereiten auf die große Einfahrt. Auf ein intellektuelles Befruchtungserlebnis. Denn ich vermute, dass ich ein Medium bin, und ich warte auf die großen Gedanken. Ich glaube, dass sich die großen Gedanken ganz von selbst für das am besten geeignete Medium entscheiden. Ich glaube, dass die großen Gedanken wie geistige Winde die Welt umschwirren und von oben ihre menschlichen Medien beobachten und prüfen. Und wenn sie merken, dass sich eines von uns in einem wirklich geeigneten, reifen Zustand der Empfänglichkeit befindet, schießen sie in dieses Medium ein wie Parasiten in ein Wirtstier. Oder besser wie Samen in eine Eizelle. Nehmen das Medium als Transporter in Besitz, zum Einen, um bewahrt, zum Zweiten, um begriffen, zum Dritten, um formuliert, und zum Vierten, um verbreitet zu werden. Und um in diesen
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