Tag der geschlossenen Tür
Menschen?«
»Entschuldigung, Fräulein Totelinchen. Ich dachte, Sie könnten gar nicht ersticken, wo Sie doch eigentlich schon tot sind.«
»Wenn Lebende denken, kann dabei einzig Dreck herauskommen. Ihr habt ja nur eure jämmerliche Lebenserfahrung. Eure jämmerlichen siebzig Jahre Lebenserfahrung. Ich kenne welche, die haben sechstausend Jahre Todeserfahrung! Kannst du Schwachkopf dir das vorstellen?«
»Ehrlich gesagt, nicht. Ich hab ja noch nicht mal das, was Sie Lebenserfahrung nennen. Ich bin der einzige Mensch, der nicht reift.«
»Dafür siehst du aber zellulär schon recht fortgeschritten aus. Lange machst du es auch nicht mehr. Vielleicht noch vierzig Jahre. Bild dir bloß nichts ein!«
»Seit wann duzen wir uns eigentlich?«
»Tun wir doch gar nicht. Nur ich duze dich.«
»Ach so. Hmm, komische Beziehung …«
»Nun fang nicht an zu jammern. In zwanzig Jahren treffen wir uns auf der anderen Seite wieder.«
»Auf der anderen Seite?«
»Ja, wenn die Maden dich als Jungfern über den Jordan geleiten, stehe ich am anderen Ufer bereit. Im Brautkleid.«
»Oh, wie schön. Wie schön zu wissen, dass ich dort empfangen werde. Dass dort schon jemand auf mich wartet. Aber wir werden die Zeit bis dahin doch trotzdem gemeinsam verbringen, oder?«
»Selbstverständlich, mach dir keine Sorgen, ich lass dich nicht alleine.«
»Das ist gut zu wissen, Fräulein Totelinchen, ich hätte Angst davor, wenn Sie mich verlassen würden.«
»Entschuldigung! Was machen Sie hier? Was haben Sie hier zu suchen?«
Ich blicke auf, vor mir steht ein älterer Herr in grauem Anzug, neben ihm zwei Museumswärter und ein Polizist. Ich bin für einen Moment ratlos. Man hat mich dabei erwischt, wie ich in der Kunsthalle in einer gefälschten Wärteruniform über eine tote Fliege gebeugt sitze und mit ihr rede. Was soll ich sagen?
»Ich denke, Sie verlassen jetzt auf der Stelle das Museum, ich hoffe, Sie haben Ihre Personalien dabei. Die Polizei interessiert sich nämlich für Sie.«
Der ältere Herr hat einen strengen Ton angeschlagen. Ich schließe vorsichtig die Schachtel und lasse sie in die Tasche gleiten. Dass Totelinchen lautstark protestiert, kann ich jetzt nicht beachten.
»Ich sag es Ihnen doch, der lungert hier schon länger rum.«
Einer der beiden Wärter versucht sich petzenderweise bei seinem Vorgesetzten positiv bemerkbar zu machen. Ich wette, er lauert schon des Längeren auf eine Verbesserung seiner Position. Die Schaumkronen in seinen Mundwinkeln verweisen auf den ausgiebigen Gebrauch seines Sprachvermögens, aber nur zu schlechten Zwecken. Ich stehe auf und richte meine Uniform.
»Entschuldigen Sie. Nicht in diesem Ton. Wenn das so ist, reiche ich die Kündigung ein. Betrachten Sie unser Verhältnis von jetzt an als gelöst.«
Ich knalle unsinnigerweise die Hacken zusammen und salutiere. Der Museumsvorgesetzte starrt mich fassungslos an. Der Polizist nimmt mich am Arm, und ich lasse mich abführen. Aber nicht ohne noch einmal meinen Protest zu artikulieren: »Sie hören noch von mir! Eine bodenlose Frechheit. So etwas lasse ich mir nicht bieten. Erst richte ich Ihnen den Betrieb für umsonst aus, und dann werde ich auch noch verhaftet. Wir sehen uns vor dem Arbeitslosengericht!«
Den Rest des Tages verbringe ich auf der Polizeiwache in endlosen Verhören, in denen Polizeibeamte herausbekommen möchten, was ich vorhatte. In denen sie mir die Vorbereitung von Kunstraub unterstellen. In denen sie mir Bilderstürmerei unterstellen. Irgendeine Form von Kulturterrorismus. Meine Klarstellung, dass ich dort lediglich meinen freiwilligen Dienst versehen habe, akzeptieren sie nicht. Am Ende bin ich in ihren Augen ein Beknackter. Ein nerviger Schwachkopf. Einer, der den Betrieb aufhält. Ein durch und durch Unnützer. Die Welt sieht aus jeder Perspektive anders aus. Das ist ja das Schöne.
Immer Ärger mit Herr Berger
F reitagvormittag. Ich vermisse das Museum. Ich vermisse das Gefühl, von mir gebraucht zu werden. Wenn schon nicht von jemand anderem, dann wenigstens von mir. Ich habe mich dort gebraucht. Das Museum ist für mich ohne mich nur noch halb so schön. Was hat das Museum für eine Blütezeit mit mir erlebt! Ich habe selbst die Idee des Arbeitsverhältnisses im Museum zu einem artifiziellen Akt gemacht, das hätte man mir eigentlich teuer bezahlen sollen, schließlich war ich eine lebende Ausstellung. Wie immer hapert es bei mir an der Vermarktung. Aber ich habe auch das Gefühl der Beendigung
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