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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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späteren Abend bekomme ich eine Nachricht. Man bietet mir eine Penisverlängerung an. Ich schreibe zurück, dass ich mich über das Angebot zwar sehr freuen würde, aber gerade keine Penisverlängerung bräuchte. Wenn es jedoch so weit sein sollte, würde ich mich wieder melden.
    Da ich sowieso nicht schlafen kann, da mir nicht einfällt, was ich schreiben könnte, während ich vor dem Computer sitze, nutze ich die Zeit, um etwas längst Überfälliges hinter mich zu bringen. Ich werde mich von Marion Vossreuther trennen. Ich setze ein Schreiben an sie auf:
     
    Sehr verehrte Marion,
     
    ich muss Ihnen diesen Brief schreiben, auch wenn es mir wehtut. Ich möchte Sie auf keinen Fall verletzen, aber es geht einfach nicht anders. Ich werde mich von Ihnen trennen. Die lange Zeit der Unentschiedenheit, des Wartens, des fehlenden Kontakts, der fehlenden Verbindlichkeit und Zärtlichkeit, all das hat mich ziemlich fertiggemacht. Und jetzt kann ich nicht mehr warten. Ich bin schließlich immer noch ein attraktiver Mann in den besten Jahren, und ich brauche eine Frau, die zu mir steht. Glauben Sie mir, ich verehre Sie nach wie vor, aber das allein reicht nicht. Ich muss mein Leben fortsetzen. Bitte seien Sie mir nicht böse, ich hoffe, dass ich Sie nicht allzu sehr enttäuscht habe. Sie können mich jederzeit sehen, wenn Sie wollen, denn ich werde immer einen Platz in meinem Herzen für Sie frei halten.
     
    Ihr Sie ehemals geliebt habender: Michael Sonntag
     
    Ich stecke den Brief in ein Kuvert, schreibe meinen Absender darauf und gehe in die nächtliche Innenstadt, um ihn beim O2-Laden in den Briefkasten zu werfen. Da es dort keinen Briefkasten gibt, schiebe ich ihn unter der Tür durch. Ich rechne nicht mit einer Antwort. Marion wird ihn verständnislos in den Müll schmeißen.
    Hoffentlich habe ich ihr keine Angst gemacht. Ab jetzt bin ich wieder frei.

Die Fesseln des Übels
     
    A uf der anderen Straßenseite, gegenüber meiner
Wohnung, steht ein Mann an einem Laternenpfahl. Ich beobachte ihn dabei, wie er entspannt in der Sonne steht und pfeift. Ich möchte ihm dabei zuhören und öffne das Fenster. Aber der Klang einer Trompete dringt an mein Ohr. Wenn diese verdammte Trompete nicht wäre, könnte ich hören, was der Mann pfeift. Wo spielt der Trompeter, ich kann ihn nirgends entdecken? Als der pfeifende Mann für einen kurzen Moment einen Passanten begrüßt, hört die Trompete ebenfalls auf zu spielen. Als der Mann die Lippen wieder schürzt, beginnt die Trompete erneut.
    »Sonderbar, sonderbar, tststs«, erklingt eine ruhige Stimme hinter mir im Raum. Ich fahre herum. Wie aus dem Nichts steht Bob hinter mir. Er lächelt mich gelassen an.
    »Bob. Wo warst du und – wie bist du hier hereingekommen?«
    »War unterwegs. Musste mich mal ’n bisschen umsehen. Komische Stadt, in der ich hier gelandet bin. Ich kenne diese Stadt nicht. Ich dachte, ich wäre in Hamburg.«
    »Ich weiß. Dies ist jetzt Hamburg. Sie haben ein neues Hamburg gebaut.«
    »Das haben sie aber schlecht gemacht. Wer sind die? Vielleicht geh ich sie mal besuchen und frag, wo mein altes Hamburg geblieben ist. Irgendwo müssen sie es ja gelagert haben.«
    »Sie haben es weggeschmissen.«
    »Wie traurig. Und in diesem Quatsch müsst ihr jetzt leben? Warum gehst du nicht woanders hin? Man muss sich doch nicht auch noch von Architekten beleidigen lassen, oder? Es gibt genug Städte, die in Schönheit altern und zu ihrem Verfall stehen.«
    »Eigentlich hast du recht. Es ist alles eine Beleidigung. Eine Verhöhnung. Eine Prüfung. Sie testen aus, wie weit sie noch gehen können.«
    »Richtig. Und wenn keiner STOPP ruft, gehen sie immer weiter, denn sie kennen keine Grenzen. Weder in ihrer Gier noch in ihrer Sucht nach Ausdehnung und Kontrolle. In dem Spalt zwischen Macht und Geld herrscht immer ein großer Sog.«
    »Und was tut man dagegen?«
    »Verstopfe den Spalt, oder geh weg. Die Welt ist groß und leer. Du passt schon noch hinein.«
    Bob geht in die Küche und kommt mit einer Flasche altem Eierlikör zurück. Er setzt sich rittlings auf einen Stuhl am Fenster und trinkt die Flasche in einem Zug aus. Er lehnt sich aufs Fensterbrett und folgt dem Trompetenspiel. Eine Air von Bach, aber knittrig wie altes Blech. Seine Jacke fällt hinten ein wenig auseinander, unter dem Jackett kann ich im Hosenbund eine Pistole erkennen.
    »Ich lass mich über die Welt treiben wie ein Blatt Papier. Da, wo es mir gefällt, da bleib ich einen Moment liegen. Bis der Wind

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