Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
Vom Netzwerk:
errötet und setzt sich auf den freien Platz. Ich bin vollkommen ratlos, wie ich jetzt vorgehen soll, wie wir miteinander in Kontakt treten könnten. Wir beide husten vor uns hin und werfen uns ab und zu einen verschämten Blick zu. Den anderen Patienten scheint unsere Zusammengehörigkeit nicht aufzufallen. Einzeln werden sie aus dem Wartezimmer gerufen. Wir beide haben zu unserer Ablenkung und Tarnung Zeitungen genommen und täuschen interessiertes Lesen vor. Mit einem kurzen Blick zu ihr sehe ich, dass sie lächelt. In dem Moment ist das Eis gebrochen, und wir sind Partner in einem konspirativen Spiel. Die Peinlichkeit verfliegt, und unser Husten wird forscher. Schon gibt es erste irritierte Blicke einer älteren Dame. Als das Wartezimmer fast vollständig geleert ist, setze ich mich stumm neben Susanne und öffne meine Aktentasche.
    »Entschuldigung, sind Sie auch krank?«
    »Ich weiß es nicht, deshalb bin ich ja hier. Der Arzt soll es mir sagen. Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass ich krank bin.«
    »Verstehe. Mir geht es ganz ähnlich. Möchten Sie etwas trinken?«
    »Sehr gerne, ich habe einen etwas trockenen Hals.«
    »Bitte, bedienen Sie sich.« Ich halte ihr die Aktentasche hin, und sie nimmt sich ein Bier heraus. Ich nehme ebenfalls eines. Zischend öffnen wir unsere Dosen und stoßen an. Die alte Frau beäugt uns argwöhnisch. Ein Beamtentyp ignoriert uns. Ein Bursche in Fahrradkurierklamotten döst vor sich hin.
    »Das ist aber lecker.«
    »Ja, das ist Bier.«
    »Aha. Das gefällt mir.«
    »Das gehört sich aber nicht, beim Arzt Bier zu trinken, wir sind hier doch nicht in der Gastwirtschaft«, mischt sich die ältere Dame in unser Gespräch ein. Derweilen ext Susanne ihr Bier und nimmt sich ein neues.
    »Entschuldigen Sie, wie unaufmerksam von mir – möchten Sie auch eines?«, frage ich die ältere Dame.
    »Ich trinke kein Bier. Und außerdem bin ich krank.«
    »Aber ich hätte gerne eins.«
    Der Fahrradkurier linst durstig zu uns rüber, und ich halte ihm die Tasche hin. Ich öffne mir ebenfalls noch eine Dose. Spontan frage ich mich, ob man hier auch rauchen kann, wo das doch mittlerweile in Kneipen nicht mehr geht. Wenn ein Arzt in der Nähe ist, kann ja eigentlich nichts passieren. Der Beamtentyp steht auf und verlässt den Raum.
    »Das tut wirklich gut. Ich glaub, ich muss gar nicht mehr rein zum Arzt«, stellt der Kurier fest.
    »Sehen Sie, ich kann Ihnen das nur empfehlen«, sage ich zu der älteren Dame und halte ihr die Tasche hin. Langsam und irritiert nimmt sie eine Dose heraus. Ich helfe ihr beim Öffnen derselben. Sie nimmt einen Schluck, schaut an die Decke und nimmt dann direkt noch einen Schluck.
    »Das ist gar keine so dumme Idee, das muss ich zugeben. Das sollten sich die Ärzte man mal überlegen.«
    Die Tür öffnet sich, und die Arzthelferin vom Empfang steht in der Tür. Hinter ihr der Beamtentyp.
    »Was geht hier vor? Können Sie mir bitte erklären, was das hier soll?«
    »Wir trinken Bier. Prost!«
    »Prost, Prost, Prost.«
    Später vor der Tür, nachdem die Arzthelferin die Veranstaltung sofort und sehr erregt aufgelöst hat, nachdem uns Hausverbot erteilt wurde, stehen Susanne und ich in der Sonne und lachen und schweigen und trinken weiter unser Bier. Irgendwann tippt sie mich an, und wir gehen die Straße runter, der Sonne entgegen. Keiner von uns hat das Gefühl, viel sagen zu müssen. Ab und zu schaue ich sie von der Seite an und finde sie überaus gut aussehend. Ihre dunkelblonden Haare liegen wie Lichtschlangen auf ihren Schultern. Sie hat hellgrüne, sehr klare Augen und einen wissenschaftlichen Blick. Wenn sie mich anschaut, erscheint sie mir durch und durch fremd, und genau das an ihr zieht mich an. Wir setzen uns vor eine Apotheke und rauchen und husten und unterhalten uns ein wenig. Ein paar Jugendliche betrachten uns abschätzig. Sie halten uns für Anfänger in der Raucherszene, weil wir husten. Wer beim Rauchen hustet, hat nix drauf. Irgendwann schaut Susanne auf ihre Armbanduhr: »Sonntag, es war sehr schön mit dir. Ich muss jetzt los. Wenn du magst, sehen wir uns wieder.«
    »Natürlich mag ich.«
    »Ich bin gespannt auf deine nächste Kolumne.« Sie umarmt mich und gibt mir einen kurzen und etwas verschämten Kuss auf die Wange. Dann dreht sie sich um und geht. Ich stehe ebenfalls auf und mach mich auf den Weg. Nach ein paar Schritten bleibe ich stehen, drehe mich um und warte. Wird sie zurückschauen? Das machen Frauen selten, dafür ist ihr

Weitere Kostenlose Bücher