Tag der geschlossenen Tür
Arrangement mit dem Schicksal zu sicher. Sie blickt kurz über die Schulter und winkt mir lächelnd zu. Nachträglich kehrt die Aufregung bei mir zurück. Jetzt, wo sie weg ist, werden mir die Knie weich, und es fällt mir auf, wie gut sie mir gefallen hat. Ich habe eindeutig mehr als ein rein menschliches Interesse.
Europa, meine Liebe
D ie folgenden Tage verbringe ich in einer ausgedehnten Unruhe. Die Begegnung mit Susanne hat mich in einen Erwartungszustand versetzt, der mir unheimlich ist. Immer wieder geht mir das Bild ihres sonnenbeschienenen Gesichts durch den Sinn, ihre Art, die Welt mit ihrem klaren Blick abzufahren und zu durchdringen. Ich kann mich an kein Wort unserer Unterhaltung erinnern, nur an ihr Lachen und ihren Husten. Leider kam ich nicht dazu, an ihr zu riechen, das muss ich nachholen. Ich möchte mir nicht unberechtigte Hoffnungen machen, aber ich sehne mich nach einem Zeichen von ihr. Der Gedanke an sie bereitet mir wiederholt kleine Schauer der Freude. Ich attestiere mir eine Variante von Verliebtheit. Das wiederum gefällt mir gar nicht. Ich möchte in keine irgendwie geartete Form der Abhängigkeit geraten. Ich werde mich nicht bei ihr melden. Ich nicht. Ich werde es aushalten, bis die Heftigkeit der Impulse nachlässt. Bis die Gedanken an sie allmählich verblassen. Bis mein Denken sich eine neue Richtung sucht. Momentan steigt die Heftigkeit der Impulse aber eher an. Um mich abzulenken, beschließe ich, eine Geschichte zu schreiben und sie in die deutsche Verlagswelt hinauszuschicken, um im Warten auf die Ablehnung eine andere Denkrichtung einzuschlagen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Ihnen das Manuskript meines Romans Europa mon Amour vorlegen. Es ist ein moderner Liebesroman, engagiert, politisch, aber auch erotisch und natürlich mit einer gehörigen Prise Humor gesalzen. Die Geschichte handelt von einer unmöglichen Liebe und zwar der zwischen einer Pariser Intellektuellen und einem norddeutschen Landwirt. Natürlich erscheint einem eine derartige Paarung unmöglich, aber gerade darin liegt der Reiz dieser modernen Lovestory, denn es geht um mehr als nur zwei Menschen, es geht um zwei ganze Länder. Ich bin sehr gespannt, was Sie von meinem Roman halten. Das Buch ist noch nicht fertig geschrieben, aber sobald Sie mir ein Zeichen geben, schreibe ich weiter. Es liest sich folgendermaßen:
Europa mon Amour
Claire hatte sich an diesem Morgen nicht gewaschen. Claire wusch sich schon seit drei Tagen nicht mehr. Ihre Haare verfilzten, und sie legte auch kein Make-up mehr auf. Seitdem Benjamin abgereist war, ließ sie sich gehen. Sie wollte seinen Geruch auf ihrer Haut bewahren, diese schwere, männliche Fahne, die er auf ihr hinterlassen hatte, wie die Erinnerung an einen herben Sommerwind. Seinen Geruch und die blauen Flecken auf ihren Armen, die von den wilden Liebesspielen zeugten wie die Spuren der ersten Menschen auf dem Mond. Sie war Französin, eine echte Pariserin von Geburt an, eine Frau der Metropolen, weltgewandt, mondän, parkettsicher, elegant und gut situiert. Sie war schon mit den faszinierendsten Männern der Welt zusammen gewesen, bis er kam. Er – Benjamin Brockmann, Deutscher, aus Eckernförde stammend, Landwirt, bodenständig, eigenbrötlerisch. Zusammen waren sie das ungewöhnlichste Paar der Pariser In-Szene. Und genauso in Eckernförde. Konnte das gut gehen? War eine derartige Verbindung überhaupt möglich?
Sie – die kleine und feingliedrige Pariser Intellektuelle, elfenhaft zart, immer in feinster Haute Couture gekleidet, Revolutionärin im Geiste, sehr gebildet und eine wahre Opernnärrin. Er dagegen breitschultrig und grobschlächtig, ein konservativer, norddeutscher Reaktionär, häufig in Gummistiefeln und Cordhose unterwegs, mit vom Wetter gegerbtem, rotädrigem Gesicht, miesepetrig und übellaunig. Konnte so eine Liebe halten? Ja, durfte sie überhaupt sein? Nach all dem, was zwischen ihren Vaterländern vorgefallen war? Nach Jahrhunderten von Kriegen, Überfällen, Handelsblockaden und Demütigungen, wie konnte da eine solche Liebe überhaupt auf Erfüllung hoffen? Aber genau darum ging es den beiden Liebenden. Mutig voranzugehen, zu brechen mit der alten Feindschaft ihrer Völker und diese in l’Amour umzuwandeln. Obwohl beide die Sprache des anderen nicht verstanden, wussten sie, dass ihre Zärtlichkeit eine neue Welt bedeuten könnte. Dass die Mauer endlich fallen musste zwischen Deutschland und Frankreich.
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