Tag der geschlossenen Tür
von der Arbeit, das kann man an ihrer Kleidung und ihren Taschen sehen. Ich betrete den Gastraum und schaue mich um. Das »Dow Jones« ist groß, karg und schick, vielleicht in seiner Anmutung einem Börsensaal nachempfunden, aber mit vielen Spiegeln an den Wänden und Accessoires aus Aluminium. Häufig wird im Design das zackige Symbol eines Börsenkurses aufgegriffen, meist mit einem nach oben weisenden Pfeil. Ein Ambiente für Gewinner. Im vorderen Bereich des Raums steht ein großer Tresen mit klassisch gestylten Barkeepern, die den Gästen Crémant auf Eis kredenzen, im hinteren Bereich glänzt eine DJ-Kanzel, und ein tätowierter DJ mit Iro und Spiegelbrille legt moderate Lounge Music auf. Die Frauen verschwinden sofort auf der Toilette und tauchen kurz darauf deutlich verändert wieder auf. Mit wenigen gezielten Handgriffen haben sie ihren Teil der Arbeit erledigt und die Fahnen der Verlockung gehisst: Rote, glänzende Lippen, lange Wimpern, gerötete Wangen, geöffnete Haare wollen mit Verheißung die Blicke auf sich ziehen und die Botenstoffe zum Kochen bringen. Die Männer tun nichts dergleichen, sondern versuchen durch forciertes Trinken die lästigen Barrieren der Hemmung möglichst frontal zu durchreiten. Noch stehen die Geschlechtergrüppchen getrennt, denn die Gesprächsthemen des jeweils anderen Sexus interessieren weit weniger als dessen reine körperliche Anwesenheit. Ein paar jüngere Business-Ladys wagen sich schüchtern zu einem ersten Tanz in die Nähe des martialisch aussehenden DJs, der sich mittlerweile in Richtung eines chilligen House-Sounds treiben lässt. Ich bestelle mir am Tresen ebenfalls einen Crémant auf Eis und beobachte das Treiben. Leider habe ich keine männlichen Kollegen, mit denen ich über Belstaff-Lederjacken, Omega-Uhren und alte Jaguars reden kann. Vom Geschäftsidiom habe ich sowieso keine Ahnung, also halte ich mich vornehm im Hintergrund, ganz der geheimnisvolle Fremde. Die Blicke aller Anwesenden durchstreifen beim Reden, Trinken und Tanzen eher nebenbei den Raum und scannen die potenziellen Geschlechtspartner auf ihre sexuelle Verwertbarkeit ab. Ich trinke zwei weitere Crémant auf Eis. Der Raum hat sich gefüllt, die Musik ist lauter geworden und die Gespräche am Tresen ebenfalls. Wortfetzen durchwehen die Beats. Eine Frau lehnt auf einmal neben mir am Tresen und schaut mich forsch an. Ich blicke etwas verlegen zurück.
»Hast du Lust zu tanzen?«
»Jetzt … direkt?«
»Ja, natürlich.«
»Warum nicht?«
Sie geht mir voraus in Richtung Tanzfläche. Mir ist vollkommen unklar, wie ich mit der Situation umgehen soll, wir haben noch kein weiteres Wort gewechselt, sie ist mir absolut fremd. Macht man das so in diesen Kreisen? Ist Reden überflüssig? Wie eloquent. Als wir die Tanzfläche erreicht haben, fährt sie herum und beginnt sofort und sehr sportlich zu tanzen, so als würden wir das schon seit Stunden tun. Ich muss mich erst mal körperlich sortieren, bin nicht vorbereitet auf diesen Kaltstart und beginne ziemlich hilflos vor mich hin zu stampfen. Mein Körper gehorcht mir nicht, er ist mir peinlich und ich ihm. Die Fremde lächelt mich an, beobachtet mich und schließt immer wieder die Augen, um in ihren eigenen Rhythmus hineinzugleiten. Sollten wir dabei nicht ein wenig Konversation betreiben? Ich habe das Gefühl, dass meine Glieder aus gelenklosen Zaunlatten bestehen, auf denen ich wie eine alberne Vogelscheuche vor mich hin stakse. Ich schwitze vor Anstrengung, obwohl mir kalt ist, ein dämliches Lächeln ist wie mit Draht in mein Gesicht montiert. Ich sehe, wie ihr Blick erkaltet, sie verliert schnell das Interesse an mir, und als sie die Augen länger geschlossen hält, gehe ich einfach von der Tanzfläche und zurück zum Tresen. Was für eine Blamage. Zum Glück sind zu viele Menschen im Raum, als dass ich besonders aufgefallen sein könnte.
Ich setze mich auf einen Barhocker und bestelle mir ein großes Bier, um mich zu erden. Der DJ forciert die Beats, der Dancefloor ist gut gefüllt, das große Gechecke hat begonnen. Nach einem weiteren Crémant auf Eis reiße ich mich zusammen und betrete aus freien Stücken die Tanzfläche. Ganz am Rand, dort, wo es etwas dunkler ist, beginne ich mit Lockerungsübungen. Versuche überhaupt erst mal, den Groove zu spüren und darauf zu reagieren. Ich schließe die Augen und tanze. Nach einer Weile gelingt mir das immer besser, ich verliere das Gefühl von Beklommenheit, lasse mich langsam gehen, verspüre
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