Tag vor einem Jahr
Toast in Achtel, und ich lehnte mich vor und nahm ihm behutsam das Messer aus der Hand.
»Entschuldige.« Er lächelte mich an, seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Ist schon in Ordnung. Ich verstehe das.« Und so war
es. Was Mütter anging. Während meine Mutter ihre Trauer eifersüchtig bewachte, war sie dennoch immer da: ein Schatten, der sich zwischen uns bewegte.
»Also«, sagte ich und rutschte auf meinem Stuhl hin und her. »Warst du gestern Abend mit deiner Mutter aus oder etwas in der Art?« Bitte lass ihn gestern Abend mit seiner Mutter aus gewesen sein.
»Nein, sie hat mich angerufen, und wir haben ewig lange miteinander telefoniert. Sie will eine Art Gedenkstätte für ihn. Vielleicht eine Bank oder so. Mit einer Tafel zu seinem Andenken.« Die kleinen Toastquadrate lagen unberührt auf Bernards Teller. Mir fiel ein, was Clare über Bernard erzählt hatte. Wie er die Beerdigung arrangiert hatte. Wie seine Mutter zusammengebrochen war. Plötzlich wurde mir etwas klar.
»Du bist die Jane der Familie«, sagte ich ihm. Er sah verwirrt auf. »Du bist derjenige, der alles in die Hand nimmt. Derjenige, der alles erledigt. Du bist derjenige, an den sich die Menschen anlehnen. In unserer Familie ist das Jane.« Ich hatte Jane um ihre Beherrschung, ihre Gelassenheit beneidet. Die Schattenseite hatte ich dabei nie gesehen, die Anstrengung, die es kostete, sah ich in Bernards Augen. Ich wollte, dass er wieder lachte.
»Erzähl mir etwas über Edward«, bat ich ihn.
»Und was?«, fragte er. Ich konnte sehen, wie er sich abmühte, Edwards Gesicht in Gedanken zu einem Bild zusammenzufügen. Diesen Blick erkannte ich wieder.
»Etwas, was er gerne gemacht hat. Erzähl mir davon.« Für eine Weile herrschte Schweigen, dann begann Bernard zu sprechen.
»Er liebte das Segeln. Wir beide haben es geliebt. Wir besaßen ein Boot, weißt du, als wir jünger waren.« Er lächelte bei dieser Erinnerung.
»Wie hieß es?«
Bernard fing zu lachen an.
»Es ist mir peinlich, dir das zu verraten. Als wir es tauften, waren wir erst sechzehn.«
»Hör auf auszuweichen. Erzähl es mir einfach.« Auch ich musste lachen. Bernards Eselsschreie waren ansteckend.
»Mädchenmagnet.«
»Und war es das?«
»Was?«
»Ein Mädchenmagnet?«
»Aber nein.« Bernard sah bei dem Gedanken amüsiert aus. »Es war ein altes rostiges Ding. Wir haben mehr Zeit damit verbracht, es abzudichten und anzumalen, als damit zu segeln.«
»Was ist damit passiert?« Ich war neugierig.
»Ich weiß es nicht. Edward hat im darauffolgenden Sommer ein ausgeprägtes Interesse für Mädchen entwickelt, und ich zeigte allmählich all die bedenklichen Symptome eines typischen Computernerds.« Ich hob fragend meine Augenbrauen. »Du weißt schon, das Übliche. PCs auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, Programmierhandbücher lesen, Brille, Zahnspange und Cordhosen.«
»Bei dir also kein ausgeprägtes Interesse für Mädchen damals?« Die Unterhaltung, die bislang so nett dahingeplätschert war, kippte plötzlich und ich spürte, wie sich die Hitze auf meinem Hals und Gesicht ausbreitete.
»Nein«, sagte er und strich sich Marmelade auf die eiskalten Toastquadrate. Er hob den Kopf. »Damals noch nicht.«
Ich sah auf die Uhr.
»Oh Scheiße, es ist fast neun Uhr, und ich hab noch absolut nichts erledigt.« Ich stand auf, um zu gehen, und dabei
fiel mir auf, dass sich inzwischen noch andere Leute in der Küche befanden und sich in der Mikrowelle Haferbrei warm machten und Erdbeeren aufschnitten, um Schüsseln mit Cornflakes zu dekorieren. Mir war ihr Kommen gar nicht aufgefallen.
»Wir sehen uns im Büro, okay?« Bernard nickte mir zu, er kaute noch immer.
Im Gang traf ich Laura und blieb stehen, um mit ihr zu sprechen, aber sie schwebte einfach nur vorbei, in Gedanken meilenweit von hier entfernt. Sie war also noch verliebt.
Liebe ist eine große Zerstreuung, nicht wahr? Sie rettet einen vor den banalen Dingen des Lebens. Man nimmt nicht mehr wahr, wie lang eine Schlange ist, oder ob man sich in einer Schlange angestellt hat, die um zwei Leute länger ist als die, die sich unmittelbar zur Linken befindet. Butter anstatt der verlangten Mayonnaise auf das Brötchen geschmiert zu bekommen ist auch keine große Sache mehr. Nur eine andere Geschmacksrichtung, sonst nichts. Und dazu gar nicht so schlecht. Genau genommen sogar ganz annehmbar, wenn man sie dick mit Salz bestreut. Laura befand sich nun in diesem Stadium. Zerstreutheit. Ich versuchte
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