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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Händedruck, der anders war, der länger verweilte. Er hob den Blick und sah in das Gesicht von Kimmo Joentaa. Seinem treuen Krankenhausgast. Joentaa war jeden Abend gekommen in den vergangenen Tagen, hatte jeden Abend denselben Stuhl ans Bett getragen und sich neben ihn gesetzt. Sie hatten geschwiegen, gemeinsam geschwiegen, und ab und zu gesprochen. Über Kirsti, über Kirstis Eltern, über die anstehende Beerdigung, über Rippenbrüche und dann, an einem dieser Abende, über Anna.
    Lasse Ekholm hatte von Anna erzählt, und Kimmo Joentaa hatte zugehört. Während er gesprochen hatte, hatte hinter dem Fenster die Dunkelheit eingesetzt, und eine der Krankenschwestern war ins Zimmer gekommen und hatte darauf hingewiesen, dass die Besuchszeit abgelaufen sei. Joentaa hatte, ohne sich umzudrehen, freundlich, aber laut gesagt, dass Besuchszeiten in einem Krankenhaus nicht von Interesse seien, und Lasse Ekholm hatte, nach einem Moment der Verblüffung, das perplexe Gesicht der Schwester vor Augen, zum ersten Mal seit Annas Tod lachen können.
    »Schön, dass Sie da sind«, sagte er.
    Joentaa nickte.
    Sie gingen zum Gemeindehaus. In einem kleinen, hellen Saal standen auf einem sorgfältig gedeckten breiten Tisch Kuchen und Torten bereit. Ekholms Blick streifte wieder die Kinder, die unschlüssig standen, mit weißen Tellern in den Händen, zwei lächelnde Frauen schenkten Kaffee oder Tee ein, die Pfarrerin kam zu ihm und fragte, ob alles so in Ordnung sei.
    »Ja«, sagte er. »Ja. Bestens.« Er sah den Kuchen, den er sich ausdrücklich gewünscht hatte, einen Sandkuchen mit Kirschen, er hatte der Pfarrerin die Zutaten genannt, soweit er sich an sie erinnern konnte, und die Pfarrerin hatte sie, wie versprochen, an die Mitarbeiterinnen des Gemeindehauses weitergegeben, die das Essen für die Trauerfeier zubereitet hatten. Er betrachtete den Kuchen, gelb und ein wenig rot, der mitten auf dem weiß gedeckten Tisch stand, eines der Kinder schob sich gerade ein Stück auf den Teller. Annas Lieblingskuchen, sie hatte sich immer diesen Kuchen gewünscht, und Kirsti hatte ihn gebacken, an Geburtstagen.
    Er dachte an Kirsti. Er sah sie auf dem Stuhl sitzen, am Tisch, die Tasse in der Hand.
    »Meine Frau … Kirsti … sie wollte nicht mitkommen. Konnte nicht«, sagte er zu Kimmo Joentaa, der neben ihm stand.
    Joentaa schwieg.
    »Komischerweise … hat mich niemand darauf angesprochen. Die Leute trauen sich nicht mehr, normal zu reden … normale Fragen zu stellen …«
    »Sie wird später kommen«, sagte Joentaa. »An einem anderen Tag, der für sie der richtige ist.«
    Ekholm nickte. An einem anderen Tag, dachte er. Hanne und Eevert saßen verloren an einem der Tische, auf Hannes Gesicht war das Make-up verlaufen. Annas Klassenlehrerin kam und sagte, dass sie bald gehen werde, mit den Schülerinnen und Schülern.
    »Natürlich«, sagte Ekholm. »Ja, natürlich.« Er spürte einen unmittelbaren Impuls, der schon die ganze Zeit da gewesen sein musste. Er löste sich und ging ans Ende der Tische, ans Ende des Raums, ein Notenständer ohne Noten stand neben einem Klavier, und Ekholm räusperte sich und begann zu sprechen. Erst leise, vermutlich konnte niemand ihn hören, nur er selbst, dann hob er die Stimme an und empfand es als befreiend.
    »Entschuldigung«, sagte er, so laut er konnte. »Entschuldigung bitte …«
    Das Gemurmel ebbte ab, nach einigen Sekunden standen alle ihm zugewandt, mit fragenden Blicken.
    »Entschuldigung, ich möchte mich kurz bei allen bedanken. Von Herzen bedanken. Ganz besonders auch bei euch, bei Annas Freundinnen und Freunden. Sie hätte sich … es wäre sicher ganz besonders schön für sie gewesen, zu wissen, dass ihr alle … nein, also, einfach von Herzen danke, dass ihr gekommen seid, um Anna auf … diesem Weg zu begleiten.«
    Er nickte und ging zu dem Tisch, auf dem die Kuchen standen, er nahm sich einen Teller und eine Gabel und ein Stück von dem Sandkuchen mit Kirschen. Während er aß, langsam die Gabel zum Mund führend, sah er hinter den Scheiben der Fenster die Lehrerin mit den Kindern und Erwachsene, die er nicht kannte, vermutlich waren einige der Schüler mit ihren Eltern gekommen. Irgendwann waren nur noch die Frauen vom Gemeindehaus da, die Pfarrerin, Hanne und Eevert und Kimmo Joentaa, der auf ihn zukam, um sich zu verabschieden.
    »Schön, dass Sie da waren. Danke dafür. Und für alles.«
    Joentaa nickte. »Bis bald«, sagte er. »Und ganz herzliche Grüße an Kirsti.«
    »Ja,

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