Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
noch in eigner Person zur Subway hinunter; Marmor bis zum Schalter, dann geht man durchs Drehkreuz – hinaus.
AUSTIN, TEXAS, Ende März
Zum ersten Mal gesehen ein Stinktier in Freiheit, das nachts im Park umherläuft; man soll ihm aber nicht zu nahe kommen, sagt der freundliche Gastgeber, Germanist am Rand der Prärie, Dekan. Der Flug war lang, wie von Zürich nach Moskau, aber dann landet manbei der gleichen Bier-Marke. Austin ist also die Hauptstadt von Texas; nicht Dallas, wie ich gestern noch gemeint habe. Die klassizistische Capitol-Kuppel, nachts von Scheinwerfern erhellt, bezeugt das. Wann gebaut? Hier schon Sommer, Oleander im Verblühen. Alles ist Park. Nicht eigentlich eine Stadt; die Vergeudung von Fläche ergibt nichts Urbanes, nur eine Oase des Komforts.
Unlängst, vor einem Jahr, ist ein junger Mensch auf die Kuppel gestiegen, ein Irrer mit Maschinenpistole, um blindlings auf den weiten Platz hinunter zu schießen in die Menge und Kommilitonen zu töten –
Verlegenheit in dem schönen Motel; alles ist da, wovon der Mensch sich einreden lassen könnte, daß er's braucht. Sie sind alle so freundlich, die Menschen, dann auch die Einrichtungen. Nichts bequemer als leben. Draußen (so stelle ich mir vor) die Prärie; aber hier gibt es alles und sauber, Park auch hier, Sommernacht mit glänzenden Wagen reihenweise und Lichtschriften. Alles sehr bekannt, nicht vertraut, aber durchaus bekannt; ich weiß nicht, wo ich bin. Kein Hier. Ich habe keine Wünsche (sie haben mich nochmals gefragt), nur eine gelassene Panik.
Lieutenant Calley wird schuldig befunden, bei My Lay mindestens 22 vietnamesische Zivilisten ermordet zu haben. Ohne Befehlsnotstand. Es bleibt noch die Frage: Todesstrafe oder Gefängnis? Schon gegen den Schuldspruch erhebt sich nationaler Protest. Einer schreibt auf seine Limousine: I KILLED IN VIETNAM, HANG ME TOO. Der junge und auf Fotos weiche Lieutenant hat nicht mit Schuldspruch gerechnet, kann nurbeteuern, daß er seinem Land gedient habe, und dem Gericht wird heute vorgeworfen, es verletze die Ehre der Soldaten, 60.000 Telegramme in diesem Sinn, nachdem die Todesstrafe nicht verhängt worden ist. Zuerst Agnew, dann Nixon ermahnen die Justiz.
Vortrag über Bertolt Brecht.
Fragebogen
1.
Wenn Sie sich in der Fremde aufhalten und Landsleute treffen: befällt Sie dann Heimweh oder dann gerade nicht?
2.
Hat Heimat für Sie eine Flagge?
3.
Worauf könnten Sie eher verzichten:
a.
auf Heimat?
b.
auf Vaterland?
c.
auf die Fremde?
4.
Was bezeichnen Sie als Heimat:
a.
ein Dorf?
b.
eine Stadt oder ein Quartier darin?
c.
einen Sprachraum?
d.
einen Erdteil?
e.
eine Wohnung?
5.
Gesetzt den Fall, Sie wären in der Heimat verhaßt: könnten Sie deswegen bestreiten, daß es Ihre Heimat ist?
6.
Was lieben Sie an Ihrer Heimat besonders:
a.
die Landschaft?
b.
daß Ihnen die Leute ähnlich sind in ihren Gewohnheiten, d.h. daß Sie sich den Leuten angepaßt haben und daher mit Einverständnis rechnen können?
c.
das Brauchtum?
d.
daß Sie dort ohne Fremdsprache auskommen?
e.
Erinnerungen an die Kindheit?
7.
Haben Sie schon Auswanderung erwogen?
8.
Welche Speisen essen Sie aus Heimweh (z. B. die deutschen Urlauber auf den Kanarischen Inseln lassen sich täglich das Sauerkraut mit dem Flugzeug nachschicken) und fühlen Sie sich dadurch in der Welt geborgener?
9.
Gesetzt den Fall, Heimat kennzeichnet sich für Sie durch waldiges Gebirge mit Wasserfällen: rührt es Sie, wenn Sie in einem andern Erdteil dieselbe Art von waldigem Gebirge mit Wasserfällen treffen, oder enttäuscht es Sie?
10.
Warum gibt es keine heimatlose Rechte?
11.
Wenn Sie die Zollgrenze überschreiten und sich wieder in der Heimat wissen: kommt es vor, daß Sie sich einsamer fühlen gerade in diesem Augenblick, in dem das Heimweh sich verflüchtigt, oder bestärkt Sie beispielsweise der Anblick von vertrauten Uniformen (Eisenbahner, Polizei, Militär usw.) im Gefühl, eine Heimat zu haben?
12.
Wieviel Heimat brauchen Sie?
13.
Wenn Sie als Mann und Frau zusammenleben, ohne die gleicheHeimat zu haben: fühlen Sie sich von der Heimat des andern ausgeschlossen oder befreien Sie einander davon?
14.
Insofern Heimat der landschaftliche und gesellschaftliche Bezirk ist, wo Sie geboren und aufgewachsen sind, ist Heimat unvertauschbar: sind Sie dafür dankbar?
15.
Wem?
16.
Gibt es Landstriche, Städte, Bräuche usw., die Sie
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